LI 81, Sommer 2008
Öffentliche Luft; Diese Schönen tage
Elementardaten
Textauszug
Die Luft gehört allen, gehört sie nicht allen?
So auch ein Platz, Raum der Stadt.
Öffentlicher Raum, öffentliche Luft,
die für alle da ist und von keinem besetzt
werden kann, sonst würde es private Luft.
Wird aber ein Platz samt seiner Luft
unwiderruflich von ständigem und
lukrativem Treiben erfüllt,
ist er kein Platz mehr und seine Luft
nichts als merkantile Privatluft.
(Das Pantheon gibt es nicht mehr, Piazza Navona auch nicht,
der Campo de’ Fiori ist das Kuba von Batista.)
Was ist ein Platz, was jenes süße Behagen,
das früher die Sinne der Römer
oder der Durchreisenden umfing?
Eine zu Ehren der Leere geschaffene Leere
im urbanen Kunstgriff ihrer Begrenzung.
Der Platz füllt sich, um zur Leere zurückzukehren,
denn die Leere ist seine Form,
und wäre er nicht leer, würde er nicht
Kommende und Gehende empfangen.
Sein Ansehen zu steigern
sind Statuen errichtet und Brunnen:
schön sind sie und voller Glanz
der Leere sei Dank. Doch etwas reicht über
die Schönheit hinaus: sie nehmen notwendig teil
an diesem klaren sicheren leeren Raum.
Und dieser ist stolzer durch sie.
Eine Leere voller Möglichkeiten,
eine sichere Gesundheit des Geistes,
ein nach innen gekehrtes städtisches Gut.
Arm jene, denen Plätze fehlen.
(Die mit der Bewahrung des Gemeinwohls
Beauftragten, Bürger und Fremde,
fliehen die Leere wie die schwarze Pest,
für sie ist Leere Leere von Macht.
Kein Platz, kein Winkel oder Gehsteig
keine Straße oder Nische, die, beschlagnahmt,
nicht zum Käfig würde, der zu füllen ist.
Womit er gefüllt wird, spielt keine Rolle:
Lärm Gestank Konzerte Werbung
fünftausend kulturelle Events
Verkaufsmessen Bücher Buden Weihrauch
sitzende oder stehende Körper im Gewühl
Hauptsache voll, Fest ohne Ende.
Ja, es ist die Zahl, die sie bewegt,
die albern umtriebigen Veranstalter,
die Club-Med-Animateure,
für sie pulsiert Leben nur in der Anzahl
der in einer Nacht konsumierten Biere –
das Blut stockt, wenn mit plötzlichem Getöse
die Müllabfuhr, diese Sadistin, die kaputten Flaschen
verschlingt, ein Memento der Nacht.)
Man geht einfach auf den Platz
alle gehen hin, man überquert einen Platz
niemals in Eile: eine Schüchternheit fast
verlangsamt die Schritte vor den Brunnen, dem Wasser
das seinen Kreis durchfließt und zu sich selbst zurückkehrt.
Man hält mit dem Geist wie mit dem Körper inne, betrachtet
den Raum, die Luft der Geruhsamkeit,
den Platz.
(…)