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Cover Lettre International, Martin Assig
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LI 117, Sommer 2017

Die Strasse nach Bagdad

Soldaten, Rebellen, Milizen, Banditen im erbitterten Kampf um Mossul

(…)

Über die Straße hinweg, wo auf unserer Seite der Rest der Truppe sich in der Deckung eines Abrams-Panzers gesammelt hatte, sahen die Soldaten, die sich in dem Laden verbargen, klein und verletzlich aus. Der Tank drehte sein Geschützrohr nach links und nach rechts und suchte die Straße nach Autobomben ab, konnte aber wenig tun, um die eingeschlossenen Männer zu unterstützen.
Die Soldaten und die IS-Kämpfer warfen Handgranaten. Die des IS, aus einem Fenster oben herausgeschleudert, flogen weit auf die Straße hinaus, während die der Soldaten von der Hauswand abprallten und nahe bei ihnen selbst explodierten. Die Kommandeure schrien Befehle, ein zweiter Zug Soldaten solle die Straße überqueren, um die belagerte Einheit zu entlasten, aber niemand ging los. Was für den Offizier eine gelbe Linie auf einer Satellitenkarte war, war an der Front eine zweispurige Autostraße, auf der einen Seite mit einem Benzintankwagen, einem Bus und verschiedenen Erdwällen verbarrikadiert und auf der anderen Seite offen daliegend im Hagel von Kugeln und Werfergranaten. Die Soldaten zankten sich, bis ein wettergegerbter Sergeant sich entschloß, loszuziehen.
Der Panzer verneigte sich zuvorkommend und drehte seinen Geschützlauf weg, als Caesars Humvee vorrollte. Mitten auf der Straße lag ein früher am Tag zerstörter Humvee in einem Graben. Caesars Fahrzeug kroch langsam quer über die Straße. Zwei Raketen schlugen rasch hintereinander ein, ein wenig zu kurz.
„Yalla, los!“, schrie der Fahrer.
Caesar öffnete die Tür, streckte den Kopf heraus und zog ihn wieder zurück.
„Näher ran“, sagte er zu dem Fahrer, der ein paar Fuß vorwärts fuhr. Neben ihm im Wagen stand ein Soldat mit einer grünen Kufija um den Kopf auf, um seine Maschinenpistole abzufeuern. Als er sie wieder ins Wageninnere sinken ließ, dampfte sie und füllte das Fahrzeug mit einem scharfen Schießpulvergeruch.
„Caesar! Entweder du gehst los, oder wir fahren zurück“, sagte der Fahrer beschwörend. „Wir sitzen mitten auf der Straße.“
„Du fickst jetzt die Straße mit Granaten durch!“, schrie Caesar zu dem stehenden Soldaten hinüber, der eine Kiste aufriß und einen Gurt Kupfergranaten in ein auf dem Dach montiertes Gewehr einspeiste. Die Granaten gingen mit einer Folge leiser Klopflaute ab, doch in der Ferne wurden ihre Explosionen hörbar. Ermutigt vom Geräusch der Bomben öffnete Caesar wieder die Tür und machte den Schritt hinaus, hielt sich aber an der Tür fest, als hinge sein Leben davon ab.
„Sag mir einfach, wo ich parken soll. Wenn ich weiterfahre, schießen sie uns ab“, sagte der Fahrer.
Caesar schwieg. In zehn Jahren Krieg hatte er Hunderte derartiger Straßen überquert und hatte ein Dutzend seiner Männer sterben sehen. Er kannte die Geräusche: Jedes WUSCHHH, jedes PENG war ein Stück heißes Metall, das ihn töten sollte, und der Entschluß, den Schutz des gepanzerten Fahrzeugs zu verlassen und die Straße zu überqueren, brauchte mehr als Mut: Er brauchte die Willenskraft, so zu tun, als könne man diese durch die Luft fliegenden Projektile ignorieren und sein Schicksal einer höheren Macht, einer blinden Zufälligkeit anvertrauen.
„Caesar, wir haben bald keine Munition mehr, und du bist noch nicht über die Straße rüber“, sagte der Fahrer. „Yalla, Caesar, bist ein Held. Geh zu, mein Bruder.“
„Feuere noch eine Runde“, rief Caesar, ehe er sich auf die Straße kniete. Der Fahrer rollte vorwärts, um ihn und einen weiteren Soldaten zu decken, als sie losgingen, bis sie schließlich den Kopf einzogen und über die Straße und in den Ladeneingang hineinrannten. Der Humvee schwenkte schnell in die Deckung des Panzers zurück.
Im Laden drinnen waren ein Lieutenant, Ali, und ein Dutzend Soldaten. Ali blaffte Befehle, aber niemand schien ihn zu beachten. Mittlerweile waren die Kämpfer im Stockwerk oben entweder abgezogen, oder sie waren getötet worden, doch kam schweres Geschützfeuer von links und rechts. Ein weiterer Trupp Soldaten trottete über die Straße und sammelte sich an der Tür um Ali.
„Links sind Heckenschützen“, schrie Ali, der versuchte, sich ihnen im Lärm der Explosionen verständlich zu machen. Der Trupp ging nach links weiter. Die Soldaten verbargen sich hinter einer Hausecke, bis ihr Kommandant – ein weiterer Lieutenant, der in einer früheren Schlacht desertiert war, aber anläßlich einer Generalamnestie hatte zurückkehren dürfen – ihnen befahl, vorzurücken. Er hatte die Deckung kaum verlassen, als eine Salve ihn traf. Drei Soldaten rannten hin, um ihn zurückzuzerren. Aber sie gerieten ebenfalls unter Feuer und suchten in einem Graben mitten auf der Straße Schutz, wo sie sich nicht rühren konnten. Der Rest der Einheit drehte durch und fing an, hysterisch auf die Straße zu feuern.
Ali schlug sich mit der flachen Hand vor den Helm und wandte sich zu seinen Männern: „Ich hab ihm gesagt, er soll nicht nach links.“ Er schritt zu einem der Soldaten hinüber, die an der Hauswand lehnten, packte ihn am Kragen, zog ihn auf die Straße und drückte ihm einen Raketenwerfer in die Hand. „Feure auf das Gebäude dort“, schrie er. „Ich will Rauch und Feuer sehen.“
Staub und Trümmerteilchen füllten die Luft, und es entstand genug Verwirrung, daß ein weiterer Soldat den Lieutenant ergreifen und ihn in Sicherheit zerren konnte. Ali riß ihm die Splitterschutzweste auf: Drei Kugeln waren ihm in den Bauch gedrungen. „Am Leben! Er lebt!“ rief er.
„Er ist tot“, sagte ein Soldat.
„Nein, er lebt“, beharrte Ali.
Der Soldat hob den reglosen Körper hoch, hievte ihn sich über die Schulter und rannte mit ihm zurück über die Straße zum Stützpunkt, wobei er die Trümmer und Fahrzeugwracks als Deckung gebrauchte. Der herabhängende Arm des Lieutenants drosch hin und her. Einige Augenblicke später kam über Funk die Nachricht, daß er in der Tat tot war.
Die Soldaten warteten im Laden, manche auf ihre Gewehre gestützt, die Gesichter grimmig und müde. Über Funk forderten die befehlshabenden Offiziere sie auf, vorzurücken. Einer murmelte: „Ich geh nicht, ich geh nicht“, und schrie ins Funkgerät: „Sir, sie haben eben den Lieutenant getötet. Sie sind überall um uns herum. Wohin schicken Sie uns?“
„Was habt ihr erwartet?“, antwortete der Offizier. „Daß die euch Blumen streuen? Wir sind im Krieg.“ „Sagen Sie dem General, daß er hier rüberkommt, und wir folgen ihm“, sprach der Soldat, zu den anderen gewandt, und ließ den Kopf wieder auf seinem Gewehrkolben ruhen. Alle beschlossen, weiter nach rechts zu gehen, und man ließ vier Mann in dem Gebäude zurück. Weiter die Straße entlang dröhnte eine riesige Explosion: Eine Autobombe war losgegangen.

(…)

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.