LI 88, Frühjahr 2010
Persisches Paradies
Geschichte, Religion, Masken, Gewalt, Erotik, Stadtkultur, UntergrundElementardaten
Genre: Gespräch / Interview
Übersetzung: Aus dem Persischen von Susanne Baghestani
Textauszug
Amir Hassan Cheheltan im Gespräch mit Frank Berberich
LETTRE INTERNATIONAL: Könnten Sie skizzieren, welche unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen Iran ausmachen und welche wirtschaftlichen und politischen Spannungen mit der Vielfalt der iranischen Gesellschaft verbunden sind?
AMIR HASSAN CHEHELTAN: Iran ist eine Art Mosaik. Iran verkörpert einen politischen und geopolitischen Kreuzungspunkt der Geschichte und war immer den unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt, die von außen ins Land drangen. Und es ist heute noch so. Die verschiedenen Gruppen und Schichten des Iran besitzen ganz unterschiedliche Niveaus des Wissens und der Information und auch der Sitten und Verhaltenweisen. Man könnte fast sagen, sie leben in unterschiedlichen Zeitaltern. Die iranische Gesellschaft ist ein Konglomerat aus diversen ethnischen und religiösen Minderheiten. Perser, Türken, Kurden, Balutschen, Araber, Armenier und Assyrer zählen dazu. Trotz all dieser Unterschiede ist das Bewußtsein, Iraner zu sein, mit einem starken Gemeinschaftsgefühl verbunden.
Auch die Hauptstadt Teheran setzt sich aus verschiedenen Minoritäten zusammen; niemand kann behaupten, ein „Ur-Teheraner“ zu sein. Wenn man sagt: „Ich bin Teheraner“, kann das die unterschiedlichste ethnische Zugehörigkeit einschließen, denn alle waren früher einmal Immigranten. In Teheran spricht man Tehrani, einen eigenen Dialekt, den man aufgrund seiner markanten phonetischen Verschiedenheit fast als eigene Sprache ansehen kann. Kurdisch, Armenisch, Balutschi, Aseri (die Sprache der Aserbaidschaner) oder Turkmenisch hingegen sind tatsächlich andere Sprachen, die ich persönlich nicht verstehen kann. Diese vielen Minoritäten leben fast konfliktlos miteinander. In der langen Geschichte Irans gibt es nur wenige Berichte über eine Verfolgung religiöser Minderheiten; auch der Antisemitismus hat nur eine geringe Virulenz. Die Bahai, deren Religion sich von der Schia abgespalten hat und die auf eine knapp zweihundertjährige Geschichte zurückblicken, sind allerdings hin und wieder von fanatischen Schiiten verfolgt worden. Und auch die Sunniten wurden zeitweilig diskriminiert.
All dies bedeutet aber nicht, daß es überhaupt keine Diskriminierungen gibt. Kurden, Balutschen und einige andere Gruppen leiden unter starken Benachteiligungen in Bezug auf die Infrastruktur; ihre Gebiete haben zum Beispiel weitaus weniger Universitäten, Schulen, Hospitäler, Straßen, Unternehmen als andere Landesteile. Als Bürger haben alle Bewohner dieselben Rechte und die Angehörigen aller Gruppen können sich völlig frei im Land bewegen, doch die regionalen Entwicklungsunterschiede sind groß geblieben.
Iran ist ein zentralisiertes Land, und die Regierung investiert nicht genug in entlegenere Gegenden, weil Großstädten wie Teheran, Maschhad, Isfahan oder Täbris Priorität zuerkannt wird. Das liegt keineswegs an besonderer Zuneigung gegenüber der Großstadtzivilisation; die Regierung ist sich bewußt, daß die Großstadtbewohner gebildeter sind und ihre Rechte besser zur Geltung bringen können, und möchte sie durch Privilegien ruhigstellen. Die finanzielle Förderung der Hauptstadt ist eine Art Schweigegeld, das die Regierung deren Einwohnern notgedrungen zugesteht, um sie ruhig zu halten. Und das macht diese Stadt auch für inneriranische Migranten besonders attraktiv.
Liest man Ihren Roman Teheran Revolutionsstraße, bekommt man den Eindruck, daß Ihre Beziehung zu Teheran zwischen Liebe und Haß oszilliert. Sie schildern die Stadt sehr düster, äußerst negativ, Sie sprechen von Teheran als einer „Hölle“ – bewohnt von Menschen voller Gewaltbeziehungen, Mißtrauen, Angst und Haß; gleichzeitig gestehen Sie aber eine Liebe zu dieser Stadt.
In Teheran Revolutionsstraße herrscht die Angst, und die Gewalt verstetigt diese Situation. Mein persönliches Verhältnis zu meiner Geburtsstadt ist zwiespältig. Ich hätte Teheran vielleicht für immer lieben können, wenn die Stadt es mir je ermöglicht hätte, mich eine Zeitlang von ihr zu distanzieren.Teheran spielt seit mehr als einem Jahrhundert die Hauptrolle im politischen Schicksal Irans. Aber das Leben in dieser Stadt hat sich völlig verändert. Vor hundert Jahren hatten jeder Gegenstand, jede menschliche Haltung dort noch eine klare Bedeutung, die aus sehr alten Traditionen herrührte. Heute hingegen ist nichts mehr, wie es einmal war; man könnte sagen, die Dinge sind nicht mehr in ihrer eigentlichen, in ihrer angemessenen Position und ihre neue Stellung ist noch nicht gefestigt. Das schafft eine Art chaotischer Situation. Diese Stadt überrascht einen immer wieder, denn sie ist eine gewaltige Energiequelle, die darauf wartet, ihre Kräfte freizusetzen. Doch scheinen sich diese latenten Energien heute eher in Zerstörung als schöpferischer Entfaltung auszudrücken.
Teheran ist eine Stadt voller Probleme wie starker Luftverschmutzung und extremer Verkehrsdichte. Das Leben ist kompliziert und beschwerlich. Vor dreißig Jahren hatte Teheran 2 bis 3 Millionen Einwohner, heute 15 Millionen. Mit diesem Wachstum konnte die Infrastruktur nicht mithalten. Teheran hat zu wenige Transportkapazitäten – die öffentlichen Busse und die kleine Metrostrecke reichen in keiner Weise aus –, deshalb fahren alle mit dem eigenen Auto herum; ständig steht man im Stau, die Leute werden extrem nervös und aggressiv. Statistisch verbringt jeder Teheraner zwei Stunden pro Tag im Verkehr. Auch der Verkehrslärm und die Hektik sind ein Problem – überall spürt man Aggressivität und latente Gewalt. Teheran hat kein gutes Abwassersystem, die Häuser entsorgen ihr Abwasser in Sickergruben, es riecht. Die Menschen leiden an der Luftverschmutzung: Es gibt mehr Herzinfarkte als in jeder anderen Stadt. Und es gibt einen Anstieg von Selbstmorden, meist aus Verzweiflung über wirtschaftliche Probleme. Die Anzahl der Menschen in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung ist in Iran heute höher als in vergleichbaren Ländern. Viele leiden unter Depressionen, weil sie keine Jobs finden und sich nicht selbständig ernähren und eine eigene Wohnung leisten können und daher bis ins Alter von dreißig oder gar vierzig Jahren bei ihren Eltern leben, was mit erheblichen Konflikten einhergeht. Auch das Heiratsalter der Männer und Frauen ist aufgrund dieser Situation gestiegen.
Teheran leidet also an einer gewissen Kopflosigkeit und Verzweiflung; die Stadt weiß nicht, wie sie mit sich und ihrer Zukunft umgehen soll. Mit der Konstitutionellen Revolution von 1906 haben wir moderne Strukturen zur Verwaltung unserer Verhältnisse geschaffen; aber wir haben nicht unsere antiquierten Verhaltensweisen aufgegeben. Es ist, als hafteten diese wie eine Haut an unseren Körpern.
Wie haben sich die mit der Revolution von 1979 verbundenen großen Erwartungen und die seitherigen Erfahrungen in den Menschen und ihrer Moral niedergeschlagen? Was bestimmt ihre Haltungen, und wie spielen Religion, Tradition und historische Erfahrung hier ineinander?
Moral und Ethik sind in der iranischen Gesellschaft eine merkwürdige und komplexe Problematik. Vor dreißig Jahren wurde eine säkulare Diktatur gestürzt, um durch eine religiöse Regierung ersetzt zu werden. Bald danach erwies sich jedoch, daß das neue Regime zur Ausübung der Diktatur noch weitaus besser geeignet war als das vorige. Ein Ziel der Revolution von 1979 bestand in der moralischen Aufwertung der Politik; plötzlich trumpfte jedoch ein brutaler Machiavellismus auf. Es gibt nichts Moralischeres, als daß Menschen für sich, für andere und die Welt, in der sie leben, Verantwortung übernehmen. Doch wir sind leichtsinnige Menschen, weil wir die Lösung unserer Probleme immer auf die Zukunft vertagen. Wir werden unsere Situation vermutlich erst dann klar erkennen, wenn die überbordenden Probleme uns an den Rand des Abgrunds gedrängt haben. Es ist vermutlich eine Kombination aus all diesen Aspekten.
Diese amateurhafte Gesellschaft ist letzlich unberechenbar, und sie produziert deshalb immer wieder völlig unerwartete Ereignisse. Betrachten Sie die letzten politischen Entwicklungen: Niemand hatte dieses Aufbegehren vorhersehen können. Spontaneität und Intuition gehören zu den großen Stärken dieser Gesellschaft.
Die hintergründige Vorbereitung und das unvorhersehbare Auftreten mancher Ereignisse in Iran haben durchaus eine gewisse Grundlage in historischen Erfahrungen. Seine gesamte Geschichte über hat Iran harte Zeiten erlebt. Die Menschen waren oft mit Situationen konfrontiert, in denen es besser war, sich zu verstellen oder eine andere Identität vorzugeben – in bezug auf Religion, ethnische oder nationale Herkunft. Nicht immer haben die Perser das Land regiert; auch andere Gruppen waren zeitweilig an der Macht, insbesondere nach Einführung des Islam. Es gab Zeiten, in denen es keine zentrale Macht gab, sondern eine Art Föderation herrschte; in einigen Gebieten regierten die Schiiten, in anderen die Sunniten, woanders die Türken. Die schwierigste Periode, heute noch in allgemeiner Erinnerung, war der Angriff der Mongolen von Dschingis Khan, der in mehreren Wellen über Iran hereingebrochen ist. Das war die größte Katastrophe, die der iranischen Zivilisation widerfahren ist. Die Iraner glauben, daß Iran vor dieser mongolischen Eroberung bereits eine urbane Kultur entwickelt hatte und die Mehrzahl der Menschen in Städten lebte. Nach dieser Eroberung hatte man das Vertrauen in größere Städte verloren und bevorzugte das Leben in kleineren Städten, da die Großstädte bis auf die Grundmauern zerstört worden waren, zum Beispiel Neyschabur im nordöstlichen Iran oder die Stadt Ray oder auch Chorasan; heute sind das kleinere Städte, damals waren es urbane Zentren. Ray etwa liegt nahe bei Teheran, und während Teheran damals ein kleiner Ort war, war Ray eine faszinierende Stadt mit großer Ausstrahlung; diese Städte hatten Universitäten und galten als Zentrum der islamischen Welt, man kam aus allen möglichen Ländern dorthin, um zu studieren. Auch Täbris war damals ein bedeutendes Handelszentrum.
Die Menschen mußten in einer so wechselvollen Geschichte unbedingt Überlebenskünste entwickeln, sie mußten verschiedene Masken tragen, um sich bewegen und überleben zu können, sie mußten improvisieren und auf die wechselnden Lebenslagen reagieren können; daraus entwickelte sich eine innere Vielschichtigkeit und eine große Flexibilität.
Niemals ist es einer Ideologie gelungen, die Gesellschaft vollständig zu durchdringen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise glaubte der Schah auf der Grundlage eines verfehlten Nationalismus, alles kontrollieren zu können – ein Irrtum, denn plötzlich trumpften die religiösen Kräfte auf. In den letzten Jahren der Schahära verlangten die Leute, wenn ihre Verhältnisse es erlaubten, beim Einkaufen immer westliche Produkte, weil sie von deren höherer Qualität überzeugt waren. Das Fernsehen sendete ununterbrochen amerikanische Filme und Serien, die ein treues Publikum hatten; doch plötzlich forderten die Leute die Errichtung einer islamischen Republik. Nach den jüngsten Wahlen geschah etwas ähnlich Unvorhersehbares. Es war nicht das erste Mal, daß eine Wahl gefälscht wurde. Dennoch hatte niemand diese heftige Reaktion der Bevölkerung vorhergesehen.
(...)
Man sagt, der Staat werde in Iran traditionellerweise eher als Feind denn als Freund betrachtet, denn er schütze seine Bürger nicht wirklich.
Ein wichtiger Punkt. Die Regierungen in Iran bedürfen nicht einmal der Unterstützung des Volkes; sie müssen nur das Erdöl verkaufen und können herrschen. Der Widerstand gegen die Regierung ist dermaßen zur zweiten Natur der Iraner geworden, daß man daran zweifeln kann, ob man im Fall einer neuen demokratischen Regierung alle davon überzeugen könnte, daß sie mit einer solchen Regierung ernsthaft zusammenarbeiten sollten.
Welche Rolle spielen die Familien- und Clanstrukturen heute noch? Wie ist die Beziehung zwischen den Generationen?
Die iranische Gesellschaft erlebt tiefgreifende strukturelle Veränderungen; dies aufgrund des Zuwachses der jungen Bevölkerung, die rund sechzig Prozent der Gesamtbevölkerung stellt, aber auch aufgrund der bemerkenswerten Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Mangels einer modernen und fähigen Regierung bildet die Familie noch immer den wichtigsten Rückhalt der Menschen. Die Sippenmentalität ist unter Iranern sehr augenfällig. Gleich, welchen Posten sie übernehmen, sie versuchen ihre Mitarbeiter aus der Familie oder Verwandtschaft zu rekrutieren, um ihre berufliche Position zu sichern. Die Hauptgründe für diese allgegenwärtige Atmosphäre des Mißtrauens und der Intrigen sind meiner Meinung nach Gesetzlosigkeit und mangelnder Bürgersinn.
Man sagt, der Mann bzw. der Vater beherrsche die muslimische Familie; aber die Bedeutung der Familie verlehen auch der Mutter großen Einfluß. Wer hat das letzte Wort?
In der iranischen Gesellschaft ist es der Vater, der den Kindern seine Identität vermittelt, nicht die Mutter. Die Mutter verfügt jedoch über einen außerordentlichen moralischen Einfluß in der iranischen Kultur. Obwohl die Frau in vielen kulturellen Bereichen als untergeordnet gilt, wird die Mutter in den Rang einer mythologischen Figur erhoben.
Wie viele Menschen haben eine abgeschlossene Schulausbildung in Iran?
Mehr als 85 Prozent, eine Ausnahme in dieser Region. Zur Zeit studieren mehr als 3 Millionen Iraner an den Universitäten, davon sind mehr als sechzig Prozent junge Frauen.
Wie erklärt sich der starke Widerspruch zwischen der Tatsache, daß Frauen in der sozialen Hierarchie gegenüber Männern zweitrangig sind und von den Männern beherrscht werden, es auf der anderen Seite in Iran aber so viele Studentinnen wie wohl in keiner anderen islamischen Gesellschaft gibt?
Iranische Frauen werden unterdrückt und diskriminiert; zugleich ist der wirkungsvollste Widerstand, der in den vergangenen dreißig Jahren gegen die islamischen Machthaber geleistet wurde, von Frauen ausgegangen. Sie haben die Bekleidung, die ihnen von der Regierung diktiert wurde, nie akzeptiert. Die weibliche Hauptfigur Schahrsad aus meinem Roman ist eine Inkarnation der iranischen Gesellschaft: Sie befindet sich aber in einem Stadium, in dem sie nach einer Dekade brutaler Unterdrückungen und Hinrichtungen einen Zustand der Sprachlosigkeit, wenn nicht gar der Paralyse erreicht und jegliche Energie verloren hat, sogar für geringfügigste Veränderungen der herrschenden Zustände. Inmitten und trotz dieser allgemeinen Lähmung ist unversehens eine neue Generation herangewachsen, die die politischen und sozialen Spielregeln Irans über den Haufen geworfen hat.
Hängt das mit wachsender Säkularisierung zusammen?
Drei Jahrzehnte unter der Vorherrschaft der Tradition haben gehörig und paradoxerweise zur Säkularisierung Irans beigetragen. Aufgrund alltäglicher Erfahrungen haben die Iraner erkannt, inwieweit strenge und unnachgiebige Auslegungen der Tradition als Lebensmodell überflüssig und sogar unrealisierbar sind. Diese Veränderung ist sogar in den Seminaren der religiösen Stadt Qom angekommen. Heute lernen die jungen Mullahs dort Englisch und den Umgang mit dem Computer, denn sie wollen sich auf die Führung des Landes vorbereiten; das Internet eröffnet ihnen den Zugang zu weltweiten Informationen, und als Geistlichen wurde ihnen auch der Zugang zu Universitäten und zu Parallelstudien in modernen Wissenschaften geebnet. Hier reichten einige Ideologen aus, die eine neue Schicht von religiösen Intellektuellen forderten, um die Gesellschaft auf entsprechende Veränderungen vorzubereiten, während säkulare Kräfte, ob links oder liberal, nicht zu atmen wagten.
In anderer Form betraf dies auch die Frauen. Die restriktiven Gesetze der Herrschenden verbannten sie ins Haus, der ökonomische Zwang trieb sie jedoch auf den Arbeitsmarkt. In einer Gesellschaft, deren öffentliche Räume durchweg islamisiert worden waren, konnten die Kleriker den Einzug von Frauen in Universitäten und sogar in künstlerische Bereiche, die zuvor als unreligiös gegolten hatten, wie Kino und Theater, dennoch nicht verhindern. Der Enthusiasmus iranischer Frauen und Mädchen für die Vertiefung ihrer akademischen Kenntnisse ist eine Reaktion auf diskriminierende Gesetze und Verordnungen Irans.
Schauen wir zurück in die Zeit vor der Revolution 1979. Sie sagten, der Schah habe vor fünfzig Jahren versucht, eine gewisse Modernisierung in die Wege zu leiten. Aber sieben Jahre davor hatte es den Versuch des gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh gegeben, Iran zu verändern. Er wurde mit Hilfe der CIA kurz nach der Wahl gestürzt. Welche Ideen und Hoffnungen repräsentierte Mossadegh? Und was geschah mit Iran nach seinem Sturz 1953?
Mossadegh glaubte an nationale Souveränität, eine langgehegte Hoffnung der Iraner. Das war bereits das große Ideal der Konstitutionellen Revolution von 1906 gewesen. Die Bewegung der vergangenen Monate legt übrigens ebenfalls Wert darauf. Damals verlangte der Schah die unumschränkte Herrschaft, und der Putsch der CIA von 1953 hat sie ihm ermöglicht. Zwei Jahrzehnte später forderte die städtische Mittelschicht, die sich aufgrund der Erdöleinnahmen vergrößert hatte, politische Mitbestimmung, was der Monarch jedoch ignorierte. Teile des Basars und des Klerus indessen widersetzten sich dem Schah aufgrund seiner Förderung eines westlichen Lebensstils. In den letzten Jahren seiner Herrschaft löste der Schah zwei existierende Parteien auf und faßte sie zu einer einzigen zusammen. Der Vorsitzende dieser neugegründeten Partei erklärte lauthals: „Wir werden alle Seiner Majestät, unserem großen Anführer, folgen.“ Die Linken wurden gewaltsam unterdrückt, weil die Nachbarschaft mit der Sowjet-union nach Ansicht des Regimes eine ständige Bedrohung darstellte. Dasselbe galt für die Nationalen und die Liberalen, weil diese die Demokratie forderten und linken Gedanken Auftrieb verliehen. Sogar künstlerische Aktivitäten wurden kontrolliert, um das Eindringen unliebsamer Ideen zu verhindern. Zu den wichtigsten Losungen der Revolution von 1979 zählten Freiheit und Demokratie.
Mossadegh repräsentierte den Anspruch auf nationale Souveränität, auch was die Verfügung über das Erdöl und andere nationale Ressourcen anging. Der Schah war ein Diktator, der versuchte, das Land zu modernisieren. Doch handelte er unter Einfluß, manche hielten ihn lediglich für eine Marionette des Westens. Die Revolution von 1979 griff die Sehnsucht nach nationaler Souveränität, die Mossadegh repräsentiert hatte, später wieder auf. Hat diese Forderung nach nationaler Souveränität der Revolution damals so viel Zustimmung eingetragen?
Der Schah hat das Land nicht verkauft. Der Widerspruch seines Regimes bestand darin, daß er das Land modernisieren wollte, die Voraussetzung der Modernisierung – die Freiheit – jedoch ignorierte. Demokratische Werte der Gesellschaft wie Organisationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Wahlfreiheit wurden unterdrückt. Es war seine manische Machtgier, die seinen Sturz verursachte. 25 Jahre anhaltender Unterdrückung hatten die Gesellschaft so weit gebracht, daß nach dem Ausbruch der Frustrationen sich nur ein einziger Bereich noch der Kontrolle der Herrschenden entzogen hatte: Das war ein Netzwerk von Moscheen und religiösen Zirkeln, das von oppositionellen Klerikern geleitet wurde. Deshalb nahm die Revolutionsregierung eine religiöse Prägung an, sann aber sehr bald auf die Restitution bisheriger Strukturen. Vielleicht weil sie davon überzeugt war, daß die Mentalität des iranischen Menschen nur an Regierungsformen gewöhnt ist, bei der ein einzelner von oben regiert. Ein knappes halbes Jahrhundert zuvor hatte der Begründer der Pahlevidynastie, der den letzten Monarchen der vorherigen Dynastie zu entmachten beabsichtigte, zunächst an die Gründung einer Republik gedacht. Es waren jedoch die Geistlichen aus Qom, die die Republik als westliches Staatsmodell abgelehnt haben. Deshalb konnte er [Reza Schah] sich damals selbst zum Monarchen ernennen.
(...)