LI 113, Sommer 2016
Die Zeit am Fluss
Gefälle, Strömungen und Hölderlins poetische OsterweiterungElementardaten
Textauszug
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Poesie des Gefälles I
„O ihr Armen, … die ihr … so durch und durch ergriffen seid vom Nichts, das über uns waltet, so gründlich einseht, daß wir geboren werden für Nichts, daß wir lieben ein Nichts, glauben an Nichts, uns abarbeiten für Nichts, um mählich überzugehen ins Nichts“. Sätze von ähnlicher Ungeheuerlichkeit wie die des Hyperion würde man erst wieder bei Schopenhauer lesen. Und später bei Nietzsche, wenn er vom „letzten Menschen“ erzählt, der, medial bespielt und materiell überversorgt, in jenem technischen Großprojekt feststeckt, als das die Moderne sich entpuppen würde. Durch die temps modernes spukende „Geister des Todes“.
Könnte dieser eigentümliche deutsche Nihilismus, der so universell philosophisch auftritt, nicht der besonderen politischen Situation geschuldet sein? Hölderlin nimmt die politische Welt seiner Epoche als „eisernen Schlaf“ und „bleierne Zeit“ wahr. Gleichwohl, das letzte, bedrückende Wort über das kollektive Schicksal und die geschichtliche Bewegung ist das nicht.
Gewiß, es gibt den historischen Treibsand fester Verhältnisse, wo man in Pessimismus versinken kann. Aber es gibt auch das „Asyl“ der Literatur, wo sich einem unbeengten gesellschaftlichen Leben nachforschen läßt. In ihm verfaßt Hölderlin seine Flußgedichte. Alle handeln sie von einer Poesie des Gefälles. Alle werden sie, in ihrer rhythmischen Unruhe, von grundlegenden Fragen der Geschichte bewegt und bedrängt.
Doch welcher rätselhafte Strom ist es, von dem unsere Existenz in ihrem Verlauf gelenkt wird? Wohin „denkt“ er? Welche Fließkräfte beeinflussen unsere Richtung und durch welche Widerstände werden sie blockiert oder abgelenkt? Wie kann es gelingen, daß beides zusammenströmt, die Lebensmotive einzelner und die Ziele von Mengen, Gesellschaften, Städten oder Nationen? Wann „rauscht der lebendige Strom“ im Leben der Menschen und regen sich „die Fluten der Liebe“ darin?
Das Leben im Gefälle, diese ständige Wendung ins Offene, besitzt etwas zutiefst Beunruhigendes. Es widerstreitet dem Bedürfnis nach Sicherheit, Abschließung und Konstanz. Doch das Risiko eines Lebens im Gefälle bleibt nicht ohne die Zuversicht von Freiheits- und Lebenschancen.
„Göttersöhne“ sind Hölderlin die Flüsse. Dabei hat er die großen europäischen Flüsse vor Augen, die er kennt. Rhein, Neckar, Rhône, Garonne, Dordogne, Main, Saale, Donau. In ihnen sieht er das Medium allgemeiner Austauschverhältnisse: von Kommunikationen, Menschen und Waren. Wenn Hölderlin Fluß und Gesellschaft in einen gemeinsamen Rahmen hineinschreibt, dann, weil es neben „Gottes Stimme“ und der „Stimme des Volks“ auch „die Stimme der Ströme“ gibt.
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Die Durchdringung von Natur und Kultur. Deus sive natura, Spinozas Formel der göttlichen, in sich erschaffenden Natur, gilt für Hölderlin uneingeschränkt. In heutigen Begriffen: Natur und in ihr die menschliche Kultur bilden ein selbsterzeugend sich entwickelndes, wechselwirkendes System. Ohne einläßliche Betrachtung und Beachtung der Natur, ohne genaue Welt-Anschauung muß jedwede Weltanschauung blind und ideologisch bleiben. Darum lassen sich aus der Formel Deus sive natura die Grundzüge dynamischer Evolution ableiten, die unabweisbaren kulturellen Bewegungsgesetze.
Zu beachten ist, Hölderlin erweitert Spinozas Formel entscheidend, in Richtung einer kulturellen und politischen Ökologie. Im Mittelpunkt davon stehen wiederum Flüsse und Strömungen. Sie gelten Hölderlin als wahrer Ausdruck des universellen physikalischen, biologischen und kulturellen Kräftespiels. Sie sind ihm dichterische Metapher und reale Macht zugleich. Einmal riskiert er eine Benennung: „der Geist / der Welt“.
Nicht ausgeschlossen, daß sich Hegel auch durch die Idee einer allgemeinen, das Große wie das Kleine erfassenden Geschichtsströmung zum Weltgeist hat anregen lassen. Gleichwohl könnte Hegels Vorstellung von einer allen Aufstieg und Zerfall der Menschenwelt überragenden Kraft der Vernunft Hölderlin nicht fremder sein. Hölderlin denkt an Flüsse. Und mit Flüssen verbindet sich eine natürliche wie auch eine kulturelle Diktion und Direktive. Selten treffen wir bei ihm auf eine derart feste Gewißheit. Damit werden Flüsse zum Politikum. Zum einen als Quellen der Kultur und kollektiven Erfahrung, zum anderen als Lebensader bestimmter Traditionsströme und Identitäten. Poetische Einbildungskraft und politische Realität verfließen ineinander. Nur, ließ sich das seiner Zeit irgendwie nahebringen? Berechtigte es zur Zuversicht auf jene entscheidende Wende, die aus dem modernen Nichts und dem leerlaufenden Fortschritt herausführen würde? Eröffnete sich dadurch die Chance zu einer Neuorientierung, vermochte das Flußdenken jenen Wandel Deutschlands einzuleiten, der zur Erwartung berechtigte, die politische Verschlossenheit, volkstümliche Enge und heimattümelnde Borniertheit ließen sich überwinden?
Hölderlins Hoffnung stützt sich auf eine andere Aufklärung. Und sie verbindet sich untrennbar mit einem Fluß, der Donau. Am Quell der Donau ist eines der Gedichte überschrieben, und es entfaltet in seinen sieben Strophen Merkmale jener Strömung, die wie gemacht dafür sind, eine weiträumig fluide Kultur zu durchtränken und deren eigentümliche Fruchtbarkeit hervorzurufen. Als wäre es eine Stimme. Konnten Flüsse für ganze Bevölkerungen zur „Erweckerin“ werden, so fasziniert Hölderlin an der Donau jene „menschenbildende Stimme“. Lange hat er sich damit befaßt, wie ihr Fließen den kontinentalen Raum nach Osten geöffnet und dem mittleren Europa Zugang zu neuartigen Erkenntnissen verholfen hat. Einsichten, die in europäische Erfahrungen eingeflossen sind und die sich darin über Jahrhunderte weiterentwickelt haben. Griechenland nennen Hölderlins Gedichte. Aber auch Asien und, lange vor Goethes West-östlichem Diwan, Arabien.
Ein beinahe 3.000 Kilometer langes europäisches Mäandern. Die Donau. Ihre Fließeigenschaften sind so, daß sie sich über Hindernisse und Widerstände nicht kurzerhand und geradewegs hinwegsetzen kann. Souveränität heißt fürs Strömen nicht Unumschränktsein. Es bedeutet vielmehr, sich im Wechselspiel von Kontakt und Austausch mit der Umgebung eine eigenständige Richtung zu geben, deren Form, und damit auch jene der Umwelt, sich ständig neu entwickelt. Je mehr Nebenarme, Krümmungen und Mäander „des weitumirrenden Stromes“ die Landschaften durchziehen, desto durchdringender und breiter geraten das Spiel der Einflüsse und der geschwungene Rhythmus des Dialogs. Menschenbildend und gemeinschaftsbildend ist der „melodische Strom“.
Wollte man dies leugnen, wäre damit auch der Rang des Dialogs als das eigentlich Menschliche am Menschen verfehlt. In diesem Fall würde die Sprache, wie andere Kommunikation auch, augenblicklich erstarren, indem sie auf einer Seite festsitzt. Die einseitige Sprache aber ist nichts anderes als das Kommando. Sie baut auf eine absolute Macht, die sich das Ohrenverschließen leisten zu können glaubt. Die Voraussetzung jedweder Befehlsstruktur liegt ja im Nichtzuhörenwollen, jeder Despotie auf einseitigem Rederecht. Hölderlin hatte den Kasernenton des europäischen Absolutismus zur Genüge im Ohr, um die freie, dialogische Rede zu ersehnen. Daß „ein Gespräch wir sind / und hören voneinander“, ist für ihn Grund-Satz des Menschlichen. Er darf niemals aufgegeben werden.
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Nein, die politischen Umstände waren für Hölderlins literarischen Vorstoß alles andere als günstig. 1794 hatte er in Jena Vorlesungen bei Fichte besucht, der die französischen Revolutionsideen von Freiheit, Gleichheit und der Brüderlichkeit aller befürwortet hatte. Kaum 15 Jahre danach hält Fichte in Berlin dann eine Reihe von Vorlesungen, die als Reden an die deutsche Nation Berühmtheit erlangen. „Volk und Vaterland“, verkündet Fichte darin, „liegt weit hinaus über den Staat“.
Jetzt also gerät, statt der gleichheitlichen Verbrüderung aller in einer zukünftigen Weltrepublik, das Völkische ins Zentrum. Denn es stellt für den Philosophen bei der Bildung einer Nation das oberste Kriterium und den begründenden Wert schlechthin dar. Warum ist das so? Weil es mittels metaphysischer Substanzen zum Leuchten gebracht wird. Weil es „Ewiges in sich aufzunehmen“ vermag. Weil das national gedachte Wirken des Subjekts „unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen und göttlichen Leben“. Kurz: Weil das Ewige der Religion in der säkularen Gesellschaft bei Fichte unmittelbar in die Nation übergeht.
So reicht das deutsche Wesen in die Tiefe der Zeit, in eine imaginierte Vergangenheit zurück, zu einem völkischen Ursprung. Und es reicht in eine seelische Tiefe hinab, die den Nationalismus letztlich im Gefühl legitimiert und ihn damit vor sämtlichen Vernunftüberlegungen abschirmt und schützt: „Wer dasselbe in sich fühlt, der wird überzeugt werden; wer es nicht fühlt, kann nicht überzeugt werden, denn allein auf jene Voraussetzung stützt sich mein Beweis.“
Es liegt in der Natur des völkischen Denkens, jeder Weltoffenheit zu mißtrauen. All die Anregungen, die von neuen kulturellen Einflüssen und ethnischen Unterströmungen ausgehen könnten oder die der Zustrom anderer Mentalitäten mit sich bringt, werden als unerwünschte Überfremdung angesehen. Als eine Form der Korruption des angeblich Reinen, Ursprünglichen. Die nationale Identitätsmystik fühlt sich gekränkt und bedroht durch die Energien, die von dorther auf sie einströmen, was als das Außen betrachtet wird.
In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts wird die politische Orthodoxie der Volksgemeinschaft zur zukunftsschwangeren Beschwörungsformel nationaler Abgrenzung. Zum Bannfluch der Ausschließung des Anderen und Fremden. Der jüdische Publizist Saul Ascher, er ist nur drei Jahre älter als Hölderlin, tritt als einer der wenigen öffentlich hervor, um sich gegen diesen völkischen Enthusiasmus zur Wehr zu setzen, den er als „Germanomanie“ geißelt. Als „Kreuzzug gegen alles Undeutsche oder Ausländische“.
Tatsächlich dominiert im politischen Denken des Kontinents die Grenze. Vor allem das mittlere Europa igelte sich in dem Bedürfnis und der Protektion des je eigenen Lebensbereichs zunehmend ein. Man war der nur schwer zu erschütternden Überzeugung, sich in geschlossenen Nationalstaaten schützen zu müssen, und baute Schranken auf.
Man saß fest in nationalen Territorien und militärisch geschützten Sektoren, zwischen Markierungen des Todes und der Macht, angetrieben von staatlicher Interessenspolitik und imperialen Gelüsten. Die Ideologie der Sperre institutionalisierte sich in behördlichen Hindernissen und rechtlichen Barrieren, welche über die Lebenschancen hier und nicht selten über das Sterben dort entschieden. Was hätte sich daran je ändern sollen?
Doch vielleicht war ja die Angst des Nationalismus auch nur die Maske eines heimlichen Begehrens, das sich der Reize einer anderen Welt durchaus bewußt war. Vielleicht war sie die Verdrängung jenes verbotenen Wunschs nach einer freieren Gesellschaft mit ihren offenen Lebensweisen. Jedenfalls war es ein fundamentaler Irrtum anzunehmen, die Bahn der Geschichte gleiche dem Nebeneinander gerader Linien, auf denen sich Reinkulturen parallel zueinander durch die Zeit bewegten.
Der geschichtliche Moment mit seiner gedrückten Verbürgerlichung, mit der moralisch angepaßten Gestik des Ordentlichen (dessen, was sich gehört, ohne daß man zuhört) zeigte sich gleichwohl in Deutschland dem euxenischen, dem gastfreundlichen Motiv gegenüber wenig aufgeschlossen. Dem ins Provinzielle geduckten Volksgefühl versagte sich das Erstrebenswerte einer Aussicht, die bestehende europäisch-asiatische ebenso wie die abendländisch-orientalische Anspannung des bilateral Fremden aus der Feindlichkeitszumutung herauszulösen und die Begegnung über Kulturschwellen hinweg als Erkenntnisimpuls fruchtbar werden zu lassen.
In diesem Umfeld, worin das Gespräch und der Sinn erstarren, wird die Donau zum Inbild einer Alternative. Der Fluß, ein weiträumiges Leitsystem: Siedlungskorridor, Handelsweg, Kommunikationskanal, Kulturschleuse, Migrationsroute. Für die zunehmend national gestimmten Zeitgenossen eine irrwitzige Vorstellung. Nicht so für Hölderlin. Wobei ihm die politische Provokation klar bewußt ist, die darin liegt und die in den mehr als 200 Jahren ja nicht verschwunden ist.
Hegel verdanken wir eine so schöne wie genaue Formel von Flußräumen: „das Land des Überganges“. Als wäre es das Gesetz des Stroms, sein doppelsinniges Gefälle, Verbindungen zu schaffen und Kulturen ineinanderfließen zu lassen. Es ist der „lebendige Strom“, von dem Hölderlin spricht, der die Grundlage dafür bildet, daß zum einen die Gastlichkeitskultur des kontinentalen Flußraums bis nach Asien reicht. Und der andererseits die Chance zur Gegeneinladung eröffnet. Um dadurch jenen gastfreundlichen Austausch einzuleiten, worin Hölderlin eine der wichtigsten schriftstellerischen Aufgaben erkennt:
„euch einzuladen,
Bin ich zu euch … gegangen,
Daß, wenn die Reise zu weit nicht ist,
Zu uns ihr kommet“
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Poetik der Fluktuation
Hölderlins Aufruf, seiner Heimat die Wendung zum „Land des Überganges“ einzuschreiben, läßt sich in dem Gedicht Germanien nicht mißverstehen:
Tal und Ströme sind
Weitoffen um prophetische Berge,
Daß schauen mag bis in den Orient
Der Mann und ihn von dort der Wandlungen viele
bewegen.
„Weitoffen“. Man mußte Hölderlins Werk schon die Engstirnigkeit faschistischer Gemüter zumuten, um es in eine nationalistische Lesart einzuzwängen, wie es in Nazi-Deutschland geschehen ist. Andererseits machte es das Fluß-Pathos und das gastfreundliche Motiv der Begegnung leicht, ihn als politischen Illusionisten abzustempeln. Heute kann sich uns der Blick auf jene beherzte Version einer Epochenalternative auf neue Weise öffnen, wie sie Hölderlins dichterischer „Gesang“ als Flußtheorie kultureller Evolution auffaßt. Für das physiokratische, bürokratische und technokratische Herrschaftsmodell der Aufklärung ist darin freilich nur wenig Platz. Aber auch nicht für ein Herrschaftsverständnis, das im Kult der Menge – wie bei der Französischen Revolution – oder im einzelnen Heros der Historie – wie im Fall Napoleons und späterer Diktatoren – sein Muster besitzt.
„Das Eine in sich selbst unterschiedne“, im Hyperion hymnisch beschworen, wird in den Donaugedichten zum Bild in sich vielfältiger Gesellschaften. Heraklits antike ontologische Idee verwandelt Hölderlin in eine moderne politische. Vorläufig unzeitgemäß, trägt der Donauraum den Entwurf einer anderen Zivilisation in sich. Einer Kultur, die sich über jene Beziehungen versteht, die Menschen miteinander eingehen. Die Beziehungsachse bildet der Fluß. Durch ihn sind die Länder verbunden und die Kulturen ineinander verschlungen.
Nirgendwo entdeckte ich bei Hölderlin Spuren des Gedankens, es existiere eine Überlegenheit bestimmter Völker über andere. Was es gab, waren unterschiedliches kulturelles Wissen und historische Erfahrungen, die es zu teilen und im Dialog anzureichern galt. Auch angesichts moderner Sinnkrisen sah er, im Gegensatz zu Novalis, nicht in einer postsäkularen Neubelebung der christlichen Religion die Kraft, von der zu erwarten wäre, sie könnte „Europa wieder aufwecken“.
Friedrich Hölderlin war der erste Schriftsteller der Moderne, der das Phänomen des Fließens erfaßt hatte. Seine Vorstellung meinte eine Welt, die sich fortwährend selbst erschuf und umwandelte. Eine Welt, die nicht unter einem absoluten Kommando stand, weder einer irdischen noch metaphysischen Macht. Sie meinte ein schwingendes, biegsames System, das auf der gastlichen Solidarität eines interkulturellen Redeflusses gründet. Und das zu Formen findet, dieses Zusammenleben zu feiern, in Rausch und Fest.
Nur, wie konnte jemand in der Mitte Europas auf einen derart abseitigen Gedanken verfallen? Auf die Idee offener sozialer Gebilde des zivilen Gemeinsinns? Auf die Vorstellung von Gesellschaften eines vom konfessionellen Glauben unbeengten und von Machtstreben befreiten Beziehungsgeflechts? Mit einem Funken Rousseauismus und einem Anteil dionysischer Tradition schärft sich trotz allem die politische Idee eines neuen Europa: kein gewaltsamer Umsturz nach innen, keine brutalen Kriege nach außen, vielmehr eine naturbezogene, vom Zusammenströmen der Menschen begeisterte Kultur. Sie folgt ganz der Überzeugung, jede Gesellschaft und jeder einzelne darin finde zu sich selbst erst im Respekt vor jenem Leben, dessen Gesamtheit die Natur ausmacht. „Die neue Kirche“, das ist – wie Hölderlin lange vor Feuerbach sinniert – jener wechselseitige Prozeß einer Naturalisierung des Menschen und der Humanisierung der Natur.
Wieder, wie vormals oft, bei Hellas blühenden Kindern,
Wehet in neuer Zeit und über freierer Stirne
Uns der Geist der Natur, der fernherwandelnde, wieder
Und so geht Hölderlin radikal über alles hinaus, was im 19. Jahrhundert die geschichtliche Perspektive Europas denkt und staatspolitisch zu organisieren unternimmt. Sein politisches Projekt einer kulturellen Ostbindung Europas greift über Griechenland und den Orient hinaus, indem es permanenten Austausch und ein Spiel der Vielfalt vorschlägt. In seiner sozialen Dynamik westöstlicher und ostwestlicher Durchdringung und Entfaltung ist der Donauraum ein vorbildhaftes geschichtliches Milieu für das, was viel später, nach dem Wüten der „Geister des Todes“, „Interkulturalität“ heißen wird.
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