LI 77, Sommer 2007
Roter Blitz im Grünen
Von Glanz und Elend der Papageien - Nachrichten aus der VogelweltElementardaten
Textauszug
Über keine Lebewesen besitzt die International Union for the Conservation of Nature (IUCN) bessere Informationen als über die Vögel. Auf der ganzen Welt gibt es ungefähr zehntausend Vogelarten, von denen etwa jede achte vom Aussterben bedroht ist. Von diesen wiederum gelten 250 Spezies als „ernsthaft bedroht“ – in dieser Kategorie befinden sich Arten, die mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent innerhalb von fünf Jahren verschwinden werden.
Zu diesen Sorgenkindern gehört etwa die Schopfkasarka, ein Lieblingsmotiv früher japanischer Aquarellmaler. Der Vogel fand sich einmal in einem weiten Bogen entlang der nordpazifischen Küste, der sich von Wladiwostok bis hinunter nach Südkorea spannte. Wenn man unbestätigten Berichten von Bauern auf dem chinesischen Festland Glauben schenken darf, sind heute vielleicht noch fünfzig Paare übrig, aber seit 1964 ist keine bestätigte Sichtung mehr verzeichnet worden. In ähnlicher Bedrängnis befindet sich der Waldrapp, eine Ibisart – also jener Vogel, der den alten Ägyptern heilig war. Dieser wunderbare Vogel war früher einmal in Europa weit verbreitet, und seine Kolonien waren von Syrien bis in die Schweiz bekannt. Sein Bestand ist heute auf zirka 220 Exemplare geschrumpft, welche über drei kleine Brutplätze in Marokko verteilt sind. Der Poo-uli oder Mauigimpel, ein kleiner Angehöriger der auf den Hawaii-Inseln beheimateten Familie der Kleidervögel, hatte noch mehr Pech – er ist, nur wenige Monate bevor ich nach Curú kam, um nach Aras zu suchen, ausgestorben.
Von allen großen Vogelfamilien unterscheiden sich die Papageien dadurch, daß fast ein Drittel von ihnen vom Aussterben bedroht ist – ein größerer Anteil als bei jeder anderen Spezies. Die Ordnung Psittaciformes umfaßt ungefähr 340 existierende Arten von Kakadus, Loris, Kleinen Loris, Aras, Sittichen und eigentlichen Papageien. Die Begriffe sind ein bißchen verwirrend, weil das Wort „Papagei“ in der Alltagssprache auf all diese Arten angewandt wird, aber manchmal wird es auch so benutzt, daß die eigentlichen „Papageien“ und die Aras in die Familie der Psittacidae eingeordnet werden, während die Kakaduarten, die Loris und die Kleinen Loris den Familien der Cacatuidae beziehungsweise Loriidae zugerechnet werden. In unserem Zusammenhang verwenden wir hier den Begriff „Papagei“ für alle Psittaciformes.
Der kleinste von allen ist der Braunstirn-Spechtpapagei aus Neuguinea, der genauso aussieht, wie man sich einen grünen Papagei vorstellt, nur daß er etwa die Größe eines Kolibris hat und von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze selten mehr als acht Zentimeter mißt. Der größte und gewichtigste Papagei ist der solitär lebende flugunfähige, vier Kilogramm schwere Kakapo aus Neuseeland. Er sieht ein bißchen aus wie eine große grüne Eule, knurrt wie ein Hund und legt, wie man weiß, bei seiner nächtlichen Futtersuche etliche Kilometer zu Fuß zurück. Im Laufe der Jahrhunderte hat er eine besondere Vermeidungsstrategie gegen Raubtiere entwickelt und bleibt in der Hoffnung, nicht bemerkt zu werden, einfach stocksteif stehen. Dieses Verhalten ist ihm, als vor ungefähr eintausend Jahren die Maori und ihre Hunde nach Neuseeland einwanderten, nicht gut bekommen, und die Ankunft der Europäer mit ihren Katzen hat ihm das Überleben auch nicht gerade erleichtert. Die Zahl der Kakapos ist inzwischen auf unter einhundert gesunken.
Von all den verschiedenen Papageienarten haben die Aras die größten Verluste erlitten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren bereits nicht weniger als acht Ara-Arten ausgestorben. Während Ende der achtziger Jahre erst drei der weltweit 17 überlebenden Ara-Arten von der Convention on the International Trade in Endangered Species (CITES) berücksichtigt wurden, standen 15 Jahre später schon alle 17 auf ihrer Liste.
Aras sind die großen süd- und mittelamerikanischen Papageien, dieselben, die man in den alten Filmen auf den Schultern der Piraten sitzen sieht. Aras sind langlebige Vögel – in Gefangenschaft erreichen sie ein Alter von mindestens sechzig Jahren. Lange bevor sich die Europäer von den Aras faszinieren ließen, hielten die Völker Süd- und Mittelamerikas diese Vögel als Haustiere. Wie alle Papageien sind Aras äußerst gesellige Tiere, und sie sind berühmt für ihre merkwürdig menschenähnlichen Eigenschaften und ihre erstaunliche Mimikryfähigkeit. Oder vielleicht haben die Aras bemerkt, daß Menschen äußerst gesellige Wesen mit merkwürdig araähnlichen Eigenschaften sind, unter denen eine erstaunliche Fähigkeit zur Mimikry hervorsticht. Wie dem auch sei – Menschen und Papageien verbindet seit langem eine gegenseitige Sympathie. Es ist ein trauriges Paradox, daß ausgerechnet diese beiderseitige Zuneigung einer der Hauptgründe dafür ist, daß so viele ihrer Spezies vom Aussterben bedroht sind.
Eine der 17 Ara-Arten auf der CITES-Liste, der Blaulatzara, wird von der IUCN noch immer offiziell als gefährdet gelistet, obwohl man seit den sechziger Jahren kein einziges Exemplar mehr gesichtet hat. Der Blaulatzara ist – beziehungsweise war – ein prachtvoller Vogel mit grauem Kopf und türkisfarbenem Gefieder. Seine Zahl nahm im Laufe des 20. Jahrhunderts im gleichen Tempo ab, wie der Handel mit seltenen Vögeln zunahm und die Yataypalmenwälder im Grenzgebiet zwischen Brasilien, Paraguay und Argentinien verschwanden. Der britische Vogelschützer Tony Pittman unternahm in den neunziger Jahren zwei ausgedehnte Expeditionen in diese Gegend, und ihm kam nicht einmal ein Gerücht zu Ohren, daß noch irgendwo ein Exemplar in seinem früheren Lebensraum existierte. Eine andere Spezies, der Spix-Ara, starb erst neun Monate nach Beginn des 21. Jahrhunderts in seinem Habitat aus. Damit sind noch 15 Ara-Arten übrig, von denen zumindest einige Exemplare außerhalb von Volieren und Privatsammlungen leben – wie gering auch immer ihr Bestand sein mag.
Am schlimmsten hat es die Blauen Aras getroffen. Wie der Blaulatzara und der Spix-Ara ist auch der Hyazinthara ein Blauer Ara, dessen Gefieder tatsächlich verblüffend kobaltblau glänzt. Er war früher einmal in weiten Landstrichen Brasiliens sowie in Bolivien bis hinunter nach Paraguay verbreitet. In den achtziger Jahren wurden auf den großen Vogelmärkten der Welt etwa zehntausend Hyazintharas gekauft und verkauft. Am Ende des 20. Jahrhunderts lebten in Brasilien vielleicht noch 2 500 Exemplare außerhalb von Käfigen. Ein anderer Blauer Ara ist der Lear-Ara, der für die Wissenschaft zum ersten Mal 1856 beschrieben wurde, und zwar von Prinz Charles Lucien Bonaparte, einem Neffen Napoleons. Der Prinz nannte den Vogel nach Edward Lear, der einer der besten Vogelzeichner des 19. Jahrhunderts war – eine Tatsache, die über die Nonsense-Gedichte, die ihn berühmt machten, leicht vergessen wird.
Lear-Aras waren seit dem frühen 19. Jahrhundert in die Hände europäischer Vogelsammler gelangt, stellten die Ornithologie aber lange Zeit vor ein Rätsel, denn woher die Vögel kamen, war der Wissenschaft bis in die späten siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein unbekannt. Erst dann gelang es Helmut Sick, einem deutschen Biologen, dieses Rätsel zu lösen. Sick war 1939 als junger Mann im Auftrag eines Berliner Museums auf eine Expedition nach Brasilien geschickt worden, wo er in den unberührteren Gebieten des Bundesstaates Espírito Santo nach dem Rotschnabelhokko suchen sollte. Aber da brach der Zweite Weltkrieg aus, und Sicks auf drei Monate geplanter Aufenthalt sollte sich auf sechs Jahre ausdehnen. Die ersten drei Jahre hielt er sich versteckt, und die letzten drei verbrachte er, inzwischen feindlicher Ausländer, in Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung beschloß er, in Brasilien zu bleiben und für das Museu Nacional in Rio de Janeiro zu arbeiten. 1954 machte sich Sick auf die Suche nach Brasiliens geheimnisvollem Lear-Ara. Seine Suche sollte 24 Jahre dauern.
Am 29. Dezember 1978 stieß er in den abgelegenen Sandsteincanyons im Gebiet Raso da Catarina im Bundesstaat Bahia, im Nordosten Brasiliens, endlich auf eine Population von ein paar hundert Lear-Aras.
Während ich nun in dieser Trockenwaldlichtung in Curú saß und unter keinen größeren Unannehmlichkeiten zu leiden hatte, als gegen meine Müdigkeit ankämpfen zu müssen, hielten in Raso da Catarina von den brasilianischen Naturschutzstiftungen Biodiversitas und BioBrasil angestellte Wächter ständig ein Auge auf die beiden einzigen in der Welt verbliebenen Nistplätze von Lear-Aras. Nur 240 Lear-Aras haben überlebt.
(...)