LI 115, Winter 2016
Unruhige Kunstmärkte
Spekulation und Statusgewinn als daseinssteigernde ErfahrungElementardaten
Textauszug
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Es fällt dem Kunstsystem schwerer als zuvor, „frische“ Werke der Gegenwartskunst auf das dritte „Throsbysche Level“ zu heben und sie dadurch zu erstrangigen Prestigegütern zu machen. Erst wenn dies gelingt, wird eine hinreichende Zahlungsbereitschaft der sehr Vermögenden freigesetzt, die frische Kunst zur „Siegerkunst“ adelt und als Prestigegut etabliert, mit welcher der Besitzer imponieren kann. David Throsby unterteilte die Kunstmärkte in drei Ebenen, eine Klassifizierung, die sich an Art und Zahl der Akteure, an die Wettbewerbsintensität und an die zu erzielenden Preise knüpft. Welcher Künstler, welche Kunstwerke dabei auf welcher Ebene angeboten und gekauft werden (können), folgt nicht rein ökonomischer Logik, sondern ist das Ergebnis komplexer sozialkonstruktiver Prozesse. Kunstmärkte werden, wie andere Märkte auch, gemacht.
In der Art und Weise dieses Machens jedoch heben sich Kunstmärkte von anderen Märkten deutlich ab, weil hier die konzise, Schritt für Schritt nachvollziehbare Logik fehlt. Persönliche Kontakte, Sympathien oder Antipathien, kommunikative Fähigkeiten und das Vermögen, kollektive Geschmacksbildungen zu beeinflussen, sind wesentliche Faktoren, und sie entscheiden darüber, wer den Aufstieg zur höchsten Ebene des internationalen Kunsthandels schafft und wer auf der untersten Ebene, im Primärmarkt, steckenbleibt – mit enormen ökonomischen Konsequenzen, die sich unmittelbar am Preis ablesen lassen. Wessen Werke auf der höchsten Ebene gehandelt werden, ist das Resultat von Verabredungen. Diese Verabredungen kommen nur zustande und können bindende Kraft im Kunstsystem nur dann entfalten, wenn die politischen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen als verläßlich genug erscheinen.
Eine bedeutsame Konsequenz solcher Verabredungen ist, daß künstlerisches Talent und die Reputation eines Künstlers auf dem Markt weit auseinanderfallen können, was in der Differenz zwischen dem ästhetischen Wert und dem Marktpreis seiner Werke zum Ausdruck kommt – „large differences in earnings could exist even where there are no differences in talent at all“. Vor allem muß das Werk in eine Geschichte eingekleidet werden, die es mit Bedeutung auflädt und somit zu etwas Einmaligem werden läßt.
Solche Geschichten sind unverzichtbar für die Vermittlung von Kunstgeschmack und für eine kollektiv getragene Wertschätzung von Werken. Die Unsicherheiten hinsichtlich der politischen und rechtlichen Rahmensetzungen für den Kunsthandel und die „durchzogenen“ wirtschaftlichen Aussichten führen zu Orientierungsproblemen, die in Verständigungs- und Koordinierungsschwierigkeiten unter den Machern der Kunstmärkte ihren Ausdruck finden.
Anders gesagt: Das Angebot auf dem höchsten Niveau der Kunstmärkte beruht auf Konvention, auf einem gemeinsamen Geschmack der Akteure. Wenn bei dieser kollektiven „taste formation“ immer öfter Schwierigkeiten auftreten, weil unterschiedliche Akteure zu abweichenden Erwartungen (vor allem hinsichtlich des künftigen Preispotentials) gelangen, geht das Angebot zurück, obwohl es angesichts des schier unerschöpflichen Nachfragepotentials gegen unendlich ausgeweitet werden könnte. Aufmerksamkeit und Kaufinteresse richten sich stark auf die etablierten Namen, weil sie als Stabilitätsanker wahrgenommen werden und Sicherheit versprechen. In dieser Situation sind es die analog zu renommierten, konstant berechenbaren Unternehmen „blue chips“ genannten Künstler, denen gegenüber Galeristen und Käufern Marktmacht noch zuwächst. Damit verstärken sich Tendenzen zur Konzentration von Aufmerksamkeit und Zahlungsbereitschaft am oberen Ende der Märkte. Die trickle-down theory, die These vom Durchsickern des Reichtums nach unten, bestätigt sich derzeit nicht.
IN DER STATUSPHÄRE
Der Kauf von Kunst wird weithin als „spekulatives Investment“ betrachtet und Kunstwerke diesbezüglich mit Wertpapieren oder Gold gleichgesetzt. Doch es gilt, einen „engen“ von einem „weiten“ Begriff des Spekulativen zu unterscheiden.
Wenn von „spekulativen Anlagen“ die Rede ist, etwa beim Kauf von Wertpapieren oder Gold, geht es um Spekulation im Sinne direkter Quantifizierbarkeit. Der Käufer erwartet, daß er seine Wertpapiere oder sein Edelmetalldepot nach einer gewissen Zeitspanne mit Gewinn verkaufen kann. Darin liegt die Motivation für den Kauf von Produkten der Finanzindustrie. Der Käufer spekuliert auf steigende Preise seiner Anlagen, die, um rentabel zu sein, über der allgemeinen Inflationsrate liegen müssen. Dieser enge Begriff von „spekulativ“ hat monetären Gewinn im Auge.
Trifft dies auch auf den Kunstkauf zu? Haben die Erwerber von Kunstwerken nur einen höheren Wiederverkaufspreis im Sinn? Eine Reihe von Studien ergeben, daß ein Kauf von Kunstwerken, motiviert allein durch die Gewinnerzielungsabsicht beim Wiederverkauf, nicht lohnt. Die dabei realisierbaren längerfristigen Renditen bleiben im Durchschnitt hinter denen traditioneller Finanzanlagen wie Aktien oder Anleihen zurück.
Auch der Umstand, daß Investitionen auf Kunstmärkten erhebliche Transaktionskosten mit sich bringen – Kosten für Expertisen, Versicherungen, sachgerechten Transport und Lagerung – muß in Betracht gezogen werden. Allerdings können nur Durchschnittsbetrachtungen vorgenommen werden, denn den spezifischen Eigenschaften von Kunstwerken und Kunstmärkten – die Einmaligkeit des Werkes, die unhintergehbare Heterogenität und Unvergleichbarkeit des Angebots, der unstete Handel – läßt sich methodisch nicht beikommen, so daß bestenfalls Tendenzaussagen möglich sind.
Zwar macht eine beträchtliche Zahl von Kunstkäufern zwischen dem Kauf eines Wertpapiers und dem eines Kunstwerks praktisch keinen Unterschied. Solche Käufer schauen sich das gekaufte Werk nicht einmal mehr an, sondern lassen es unmittelbar nach der Auktion in einem Zollfreilager, vorzugsweise in der Schweiz, einlagern und hoffen darauf, es nach einer Frist mit Gewinn weiterzuverkaufen. Diese Gruppe von Kunstkäufern – der Begriff „Sammler“ ist hier fehl am Platze – definiert „Gewinn“ bzw. „return-on-investment“ in monetärer Dimension.
Der weit größere Teil der Kunstkäufer, die „Sammler“, hat mehr im Sinn – was zu einer komplexen, nichtlinearen Entscheidungs- und Auszahlungsmatrix führt. Anders als Aktien sind Kunstwerke auch Konsumgüter. Am oberen Ende der Kunstmärkte handelt es sich bei ihnen um Güter des „demonstrativen Konsums“: „... unlike ‘pure’ financial instruments, art is also a consumption good. Art owners take pleasure in its intrinsic value (e.g., for aesthetic pleasure or as a ‘storehouse’ of an artist’s deftness), and to the extent that it is a luxury good, they derive additional enjoyment from the signal of wealth that owning a masterpiece transmits. It is this mixture of pecuniary and nonpecuniary payoffs to ownership that makes artworks both compelling to purchase and difficult to value.“ Hier zeigt sich, daß es eines breiteren Begriffs von „spekulativ“ bedarf, der geeignet ist, diesen unterschiedlichen Dimensionen gerecht zu werden und diese abzubilden.
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