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Cover Lettre International 92, Barbara Breitenfellner
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LI 92, Frühjahr 2011

Afrika und Asien

Low-End-Globalisierung – wie Träume und Geschäfte ineinandergreifen

(…) Ich traf Sachin und Vishal in Deira, dem alten Zentrum von Dubai. In ihrem Laden waren Thermoskannen, Öllampen, Töpfe und Pfannen, Gummistiefel, Fußbälle, Büchsen mit Schmieröl, Trockenkeksen und Sardinen aufgestapelt bis zur Decke. Ich kannte die Sachen – aus Afrika. Der Laden war das Schaufenster ihres Großhandels: Alles, was man sah, konnten einem die Brüder in großen Mengen liefern.

Sachin erzählte, daß ihn ein indischer Geschäftsfreund in Kisangani besucht habe. Der Mann habe gesehen, daß sein Laden gut lief, aber dennoch besorgt dreingeschaut. „Was willst du eigentlich“, fragte er Sachin, „ein großes Stück vom kleinen Kuchen – Kongo – oder ein kleines Stück vom großen Kuchen – der Welt?“

Seinen Laden in Kisangani hatte Sachin aufgegeben. Mittlerweile war das Imperium der Brüder beachtlich gewachsen: Sie ließen in China Motorräder und Fahrräder unter ihrer eigenen Marke für Afrika entwerfen, und sie machten auch Geschäfte in Indien. Vishal wollte den Markt in Mogadischu und Basra sondieren. „Die Leute schätzen es, wenn du in schwierigen Zeiten zu ihnen kommst“, sagte er, „das bringt dir Sympathie ein, und in besseren Zeiten ziehst du daraus deinen Nutzen.“

Ihren treuen Verkäufer Albert aus Kisangani hatten sie mit nach Dubai genommen; Albert, der weder rauchte noch Alkohol trank, war Kongolese und Anhänger der Pfingstgemeinde. Während die Brüder in einer Vielzahl von Sprachen mit ihren Vertretern und Lieferanten verhandelten, klapperte Albert die kleinen Hotels und Restaurants in der Gegend ab, auf der Suche nach afrikanischen Kunden.

Ich hielt mich oft im Laden von Sachin und Vishal auf und erlebte eine Geschichte nach der anderen. Mal begleitete ich Albert ein Stück und blieb bei Antoine hängen, einem traurigen libanesischen Fabrikdirektor, den die Krise nach Dubai verschlagen hatte, wo er chinesische Anzüge und spitze Schuhe an afrikanische Kunden verkaufte. Dann wieder streifte ich durch Deira mit der kongolesischen commerçante Anne, die zwischen zwei Einkäufen auf ein Schwätzchen mit Albert in den Laden gekommen war.

Anne hatte zwei Läden in der Bergbaustadt Lubumbashi im Süden. Die Geschäfte liefen nicht gut, viel Geld besaß sie nicht, aber sie hatte Angst, es könnte noch weniger werden, wenn sie nichts damit unternahm. Sie war mit drei anderen commerçantes nach Dubai gekommen, um zusammen einen Container zu füllen. Früher nahm sie allein mühelos zwei Container auf ihre Rechnung, aber seit der Krise machten alle in groupage.

Wir besuchten den wunderlichen kleinen Laden, in dem der alte bärtige Hussein aus Raja-sthan wie ein Neptun über ein Meer aus glitzernden Perlen, Haarnadeln und Make-up herrschte. Ein Lippenstift kostete zwanzig Eurocent, Wimperntusche zwölf Cent. Es komme alles aus der chinesischen Kleinstadt Yiwu, sagte Hussein, wo die Leute kleine Manufakturen in ihren Wohnzimmern oder Garagen hätten. Anne holte ihren Taschenrechner heraus und kaufte nach einigem Feilschen sechzig Stück von allem, dazu Perlen und Haarnadeln, und bekam eine Puderdose mit einem kleinen Spiegel geschenkt.

Sie dachte, daß nur in Lubumbashi eine Krise herrschte, aber nach und nach kam sie dahinter, daß es auch in Dubai nicht gut lief. Das tröstete sie, aber verwirrte sie auch. Es lägen immer noch die gleichen Waren in den Geschäften wie letztes Mal, nur wenig Neues sei hinzugekommen, und trotzdem weigerten sich die Verkäufer, die Preise herabzusetzen. „Du als Schriftstellerin“, sagte sie, „weißt du, wer mit dem Geld von der Welt abgehauen ist?“ In Lubumbashi hatte sie gehört, daß ein amerikanischer Betrüger mit einigen Milliarden Dollar durchgebrannt sei. War er vielleicht die Ursache der Krise?

Wir stiegen mit kongolesischen Geschäftsleuten in den Kleinbus zum Containerpark. Sie hatten im Flugzeug Englisch gelernt, „Busineß-Englisch“ nannten sie es; ich hatte es in Annes Gesellschaft zur Genüge kennengelernt. Bei einem Iraner hatte sie sich mit Reis für ihre Familie eingedeckt. „I want rice“, sagte sie. „What you want, Indian rice, Pakistani rice?“ fragte der Iraner. „I want cheap rice.“ „Cheap, cheap?“ „Yes, cheap, cheap.“

Alle Waren wurden beim Containerpark abgeliefert. Am häufigsten hörte ich dort das Wort chomeka! das die Geschäftsleute riefen, wenn eine Lücke zwischen Behältern entstand, die mit T-Shirts oder Schals gestopft werden mußte, damit ja kein Platz verlorenging.

Nachdem Anne und ihre Freundinnen ihren Container verschlossen hatten, packten sie im Hotelzimmer, das sie sich zu viert teilten, die siebzig Kilo Sachen ein, die sie pro Person im Flugzeug mitnehmen durften. Im Nu war das Zimmer übersät mit Papierknäueln, Kleiderbügeln und leeren Verpackungen, denn jeglicher Ballast wurde dagelassen. Ich brachte sie in einem Pick-up, der mit Pappkartons vollgepackt war, zum Flughafen und stieg anschließend in das Flugzeug nach China.

(…)

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.