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Cover Lettre International 84, Florian Süssmayr
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Inhaltsverzeichnis

LI 84, Frühjahr 2009

Aurach

(...) Niederpuchheim. Ottnang am Hausruck. Dreißig Minuten waren wir unterwegs. Wir steigen alle vier aus. Die letzten fünf-, sechshundert Schritte bis zum Anwesen gehen wir auf dem weichen, vereisten Schnee zu Fuß. Am Rande eines mächtigen Waldstücks ein einstöckiger Rohziegelbau. Nummer 13. Seehöhe 700 Meter. Plötzlich geht der Alarm an, er macht ihn sofort aus.

Das ist eine ganz unscharfe Aufnahme von Thomas, sagt er, es war sein letzter Besuch. Da war mein Bruder schon sehr reduziert. Ja, in dem Bewußtsein, daß er nicht mehr herkommt. Das waren die allerletzten Aktionen von ihm, daß er sich dort und da noch hinbringen hat lassen … Das war zu Beginn des Jahres 89, Anfang Jänner, da ist er einmal selber mit dem Auto noch herübergefahren, mit dem Suzuki, was grotesk war, denn er war schon schlecht beisammen. Ich war mit ihm, und plötzlich war er weg. Er hat alles vertragen, nur nicht, daß er betreut werden muß oder Hilfe braucht. Er wollte immer über sich selbst die Kontrolle behalten, wollte nicht in einem Auto chauffiert werden, das war er, ja, bis zuletzt.

Aber zuvor, in diesem Zimmer hat er sein letztes Stück geschrieben, sage ich.

Ich glaube, er hat’s selber gesagt, oder hat’s mir jemand berichtet: hier, an demselben Platz, obwohl nicht auf dieser Schreibmaschine. Er hatte gerne so alte Schreibmaschinen, und wenn er sie irgendwo gesehen hat, hat er sie gleich erworben, denn sie erinnerten ihn an die alte Schreibmaschine, die ihm der Großvater vermacht hatte. Es war also nicht die hier, eine Continental, sondern seine Reiseschreibmaschine. In Wirklichkeit hatte er es auf seiner Reiseschreibmaschine geschrieben. Er war einige Tage verschwunden, ich weiß nicht, vielleicht eine Woche oder länger, um Heldenplatz zu schreiben, es muß im Jahr 87 gewesen sein, er war dann fertig. Und hier konnte er sich ganz zuletzt noch selber für eine kurze Zeit versorgen, ein bißchen was einkaufen – mit dem kleinen Suzuki-Geländewagen bis direkt vor das Haus herfahren.

Er blieb praktisch hier in diesem kleinen Zimmer diese ganze Zeit eingeschlossen, alleine mit dem Text und seinen Gedanken.

Ja, natürlich, er hat hier geschlafen, weil oben war es doch für ihn sehr kompliziert, er konnte allein diese Treppe nicht hinaufgehen. Das hätte ihm schon den Atem genommen.

Hier ist ein Waschbecken, es gibt praktisch alles …

Ja, alles, was ein Gast für einfache Zwecke braucht; hier zum Beispiel kann man auch das Wasser wärmen, alles, was man braucht …

… und das Bett …

Das Bett ist das einfachste, das man sich vorstellen kann, stammt noch aus dem Bestand von den Vorbesitzern, so was Einfaches, das kann man nirgendwo kaufen. Nur diese dunkelgrüne Farbe, seine Lieblingsfarbe, die hat er natürlich selber angebracht.

Und das gibt es auch in der Stadtwohnung.

Das ist elegant, dieser Filzvorhang, diese Eisenstange, in solchen Häusern. Das hat den Sinn, wenn es wieder mal länger nicht geheizt war. Auch als er dann im Winter dem Hausbetreuer sagte: „Bitte heizen Sie den Kachelofen, weil ich komme vorbei“, waren die Mauern immer eiskalt. Dieser Vorhang, das war ein klassischer Schutz, nicht nur optisch gutaussehend, sondern auch ein Schutz vor der Kälte der Wand.

Wieder die grüne Farbe …

Die Lieblingsfarbe, dieses sogenannte Flaschengrün, mal dunkler, mal ein bißchen heller, meistens hat er ein helles Grün mit Schwarz gemischt, das ist das Klassische, das hat er selber gestrichen, es hat ihm Freude gemacht, es war sein Anteil an diesem Umbau, es war viel umgebaut worden, das ist, wie gesagt, ein Badezimmer und eine Toilette, separat gemacht, es war hier im Haus überhaupt nichts vorhanden. Es mußte ein Raum dazugebaut werden. Es mußte ein Raum geopfert werden.

Und der Schrank?

Der Kasten; wo er ihn gefunden hat, weiß ich nicht, der ist ja ganz einfach, aber doch mit diesen Zierknöpfen da oben vom Tischler gemacht … Da ist auch ein Griff, damit man ihn hochheben kann, hier, da oben ist seine, seine bevorzugte, zu entsprechender Jahreszeit bevorzugte Leder- … Hirschlederkleidung, die hat er sehr gerne getragen, weil er gewußt hat, das isoliert am besten, vor allem diese Rückenpartie unten, wo man sich leicht verkühlt.

Aber die waren auch ziemlich schwer zu tragen.

Die waren zuletzt für ihn ja zu schwer, es waren nicht kurze, bis zum Knie, sondern ganz hinunter; das ist ein ausge-sprochen gewichtiges Kleidungsstück, das konnte er gar nicht mehr tragen.

Alles war genau so in diesem Schrank …

Das war alles hier eingehängt. In der Zeit, wo er noch aktiv war, hat er sich mit diesen Kleidungsstücken versorgt, wenn er einmal … Er war ganz gern hier, aber auch nicht lange, immer wieder ein paar Tage oder nur auf Besuch, Be-such zwei Wochen, aber das war das längste, glaube ich, ich nehme es fast an – außer zu Beginn, wo dieser Umbau war. Als er dieses Stück geschrieben hat. Ich nehme schon an, da hat er vielleicht zwei, drei Wochen gebraucht.

So schnell ging es?

Ja, ja, ja, es war praktisch ein Auftragswerk – Peymann wollte etwas haben, und Thomas hat zunächst nein gesagt, er will es nicht – für dieses sogenannte Bedenkjahr, für den Anschluß. Dann hat er doch, Peymann, glaube ich, hat’s so berichtet, in Wien, sie waren auf dem Ring gegangen, da hat er gesagt, er macht das doch, er will etwas schreiben, und daß es im sogenannten Ringstraßenpalais spielt usw. Dann war das zustande gekommen und eben auch vom Verlag gedruckt, aber das durfte noch nicht öffentlich gesehen werden. Dann haben es die Akteure in die Hand bekommen als Textbuch, und irgend jemand hat das doch weitergegeben, und das war der große Skandal schon im voraus, weil die Medien die Bruchstücke sowie die einzelnen Sätze besonders inkriminierend und provozierend darstellten usw. Und dann hat es sich aufgeschaukelt, daß es wirklich solche Formen angenommen hat, die ihm Angst und Schrecken gebracht haben, daß so was möglich ist, daß die Menschen ihn auf der Straße attackiert haben.

Alles ist hier, wie es war, als er …

Absolut, die Schreibmaschine war da oben, wir haben sie selber auf den Tisch gestellt, und die Lampe nebenan. Diese Lampe hatte er auch in Nathal, es war ein Standardmodell, er hat sie einmal einem Schlosser aufgezeichnet, und die haben es immer wieder nachproduziert. Das sind diese schweren Leuchten, ganz strenge Stehlampen, aber eben wenn man hier sitzt und liest, ist das völlig ausreichend, und dann mit dieser Schnur umwickelt, damit das Eisen weniger brutal wirkt.

Das ist sein letztes Haus.

Er kaufte es 1972, das war das dritte und letzte Haus, das er erworben hat. Ein Jahr zuvor war er in Wolfsegg, und vom Haus war noch keine Rede, er war drüben mit dem Hennetmair, dem Realitätenhändler, eine schöne Berufsbezeichnung, für mich klingt es wie Wirklichkeitsvermittlung, passend zum Thema Thomas Bernhard und seine Behausungen.

In Wolfsegg wurde der Film Italiener gedreht. Eine Vorstufe von Auslöschung, ein ganz gelungener Film. Aber Thomas war doch nicht zufrieden; er war der Meinung, für ihn erzeugen Wörter Bilder im Kopf. Seine Literatur wäre eigentlich nicht geeignet für den Film.

Und diese Bilder hier an der Wand?

Diese Verordnungen der Kaiserin Maria Theresia, die er einmal bei einem Trödler gefunden hat und die sich auf das heutige Oberösterreich beziehen. Es wurde von Wien aus verordnet, wie sie mit was umgehen mußten, was die Bauern verlangen dürfen und so fort, es endet mit „Gott mit uns“, Linz, den 12. Jänner 1758. Es hat ihm graphisch, mit diesem wunderschönen Schriftbild, aber auch sonst vom Text her eben zu diesen Häusern gepaßt, die Verordnungen der Kaiserin. Und das Bild – woher es kommt, weiß ich nicht. Das ist ein uraltes Gnadenbild, Frauen zu den vier Säulen in der Pfarrkirche zu Wilten bei Innsbruck in Tirol. Eine Dame ist die Maria mit dem das Herz durchbohrenden Schwert und eine die Tiroler Marienfigur mit dem Kind. Irgendwie hat ihn das fasziniert, weil an sich konnte er mit diesen religiösen Symbolen nichts anfangen.

Im Eßzimmer gibt es auch ein Kruzifix.

Das war die Konzession an die Vorbesitzer, wo er das ganze Haus wie ein Jagdhaus einrichten wollte, mit den Geweihen, er wollte dem Haus so etwas geben wie ein Jägerhaus, weil es so abgelegen ist und …

Die Vorhänge …

Ganz einfache Vorhänge aus Leinen; hier ist eine Gegend, das sogenannte Mühlviertel, nicht weit weg von hier, wo die Leinenfabrikation üblich war und zum Teil heute noch betrieben wird, und das ist ein ganz einfaches handgewebtes Leinen, es hat ihm doch hierher gepaßt.

(...)

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.