LI 76, Frühjahr 2007
Ignacios Invention
Der Menschenbienenkorb und die jesuitische WeltlenkungsmaschineElementardaten
Genre: Essay, Historische Betrachtung
Übersetzung: Aus dem Russischen von Sergei Gladkich
Textauszug
Der Hinkefuß Loyola ernannte sich selbst zum General und dekorierte den Rest der Menschheit mit dem Orden der Jesuiten. Dies war der Orden eines Wespennestes, das die Beaufsichtigung des Menschenbienenkorbs auf sich nahm. Im Wort „Jesuit“ hört man nicht so sehr „Jesus“, sondern eher noch deutlicher ein angewidertes „Igitt!“, das jemand nach einem – freilich pädagogisch begründeten – Stich ausstößt. Überhaupt ist hinter den Pyrenäen eine bisher unerforschte Erkrankung des Lautes „i“ zu vermerken. Ohnehin schon spitz, wirkt er wie ein Pfiff, den die Zunge eines Warans ausstößt oder ein ausgeworfener Angelhaken, ungreifbar wie der Schwanz einer sich in der Sonne wärmenden Eidechse und tückisch wie der blitzschnelle Zugriff einer getarnten Gottesanbeterin – jenes spanischsten aller Insekten. Das „i“ in „Hispano“, „Inquisition“, „Ignacio“ – und das muß man auch noch doppelt schlucken: „Loi-iola“.
Noch ist die Geschichte nicht zu Ende, und ein Urteil wird schwer zu fällen sein, und wenn, dann wahrscheinlich nicht durch uns – dennoch, selbst als Ordensgeneral ist Loyola nicht zu einem Anti-Luther geworden. Er wurde zu einem enigmatischen Duplikat Calvins, und bevor er den Papst in Versuchung führte, endeten seine Anläufe – der spanische und der Pariser – in unmittelbarer Nähe zum Scheiterhaufen der Inquisition. Die heiligen Väter erkannten nur zu deutlich den hinterlistigen, quasiwissenschaftlichen Geist, den seine Argumente verströmten. Denn die gottgefälligste aller Verschwörungen geht stets von einer mechanistischen Vorstellung von der Weltordnung aus. Ignacio konnte ja nur im Prozeß einer Metamorphose entstehen, in der Morgenröte der experimentellen Wissenschaften, der glänzenden Bestätigung geographischer und astronomischer Hypothesen und der Expansion der Gutenbergschen Druckerpresse: als sich die Erde plötzlich selber aufschlug wie ein noch nie gelesenes Buch. Und es kam so: Wie sein Landsmann Cervantes hatte Ignacio in zu vielen Ritterromanen geschmökert, doch in einem richtigen Kampf wäre ihm beinahe ein Bein abgerissen worden, so daß das Humpeln den Abenteurer zwang, Erfinder zu werden. Der ungestillte Ehrgeiz bewog ihn dazu, eine Art selbsttätiger administrativer Maschine zu erfinden – den Prototyp aller künftigen Geheimdienste sowie der Weltlenkung vermittels verborgener Federn. Sämtliche Teile dieser Maschine wurden von ihm höchstpersönlich ausgefeilt und zusammengefügt wie auch eine Anleitung zu ihrer Bedienung verfaßt – unabänderlich für die nachfolgenden 400 Jahre. Da er begriff, daß Menschen seine Maschine kaputtmachen würden, bat er, den Steuerungsschlüssel zu ihr (und durch sie?– zur Welt) seinem Schlüsselbund des himmlischen Schlüsselbewahrers beizufügen, verblieb jedoch selber in bescheidener Stellung eines der Maschine beigestellten Mechanikers im Range eines Generals. Dies war eine genialische Disziplinarmaschine, befähigt, das Unertastbare zu kontrollieren, und auf Prophylaxe von unbotmäßigen Gedanken sowie Desinfektion von Seelen ausgerichtet. Die Maschine bedurfte eines Papstes. Der Papst seinerseits benötigte dringend irgend etwas, was seinen ins Wanken geratenen Thron stützte. Das Geschäft war perfekt.
Anfangs waren alle von der Effizienz, vom nie dagewesenen Wirkungsgrad der Societät Jesu überwältigt. Eine Handvoll ihrer Agenten, einer Handvoll Sand vergleichbar über die Achse des Tridentinischen Konzils gestreut, das das Papsttum unter seinen eigenen Ruinen zu begraben drohte, brachte es fertig, die Arbeit des Konzils auszubremsen. Anschließend wurde von den Jesuiten im Sondereinsatz halb Deutschland von der lutherischen Häresie bewahrt und gereinigt, die Hugenotten wurden in Frankreich gebrochen und zerstreut, die Jansenisten zermalmt, die beinahe eingeknickten Österreich-Ungarn, Tschechien und Polen in den Schoß zurückgeholt. Freilich mußte man dazu ein paar Karten im Spiel europäischer Könige vertauschen und den Dreißigjährigen Krieg anzetteln, aber es wurde, dank der selbstlosen Bemühungen der Jesuiten, in Europa vor Häresie gerettet, was noch zu retten war. Warf man die Jesuiten zur Türe hinaus, so kletterten sie durchs Fenster wieder hinein. Warf man sie aus dem Fenster, wie in der Prager Burg geschehen, dann ging es wieder von vorne los. Die Ressourcen des Ordens waren immens, die Effektivität ungeheuerlich, die Methoden raffiniert. Die Sünden wurden unterteilt in „läßliche“ und „Todsünden“, wobei letztere, ganz gleich, was die Apologeten im nachhinein geschrieben haben mochten, ebenfalls erlassen wurden wie Schulden, zu bestimmten Bedingungen. Hauptsache, der Genehmigungsstempel „A. M. D. G.“ – Ad Maiorem Dei Gloriam – „Zum größeren Ruhme Gottes“ – war vorhanden. Allüberall hatten die Jesuiten Interesse am Einfangen des Willens der Mächtigen dieser Welt und am Errichten einer Kontrolle über die Erziehung von deren Nachkommenschaft, die sie ablösen sollte. Neben den abgefeimten Methoden psychischer Art wurde auch folgende Maßnahme praktiziert: Die Zöglinge mußten täglich einen in den Sand gesteckten Stock gießen – jeder den seinen. Das Ziel bestand, wohlverstanden, darin, eine absolute, automatische Unterordnung zu erreichen, den sogenannten „Kadavergehorsam“.
Die ersten Nebenwirkungen und unerwünschte Folgen begannen sich erst gut einhundert Jahre später bemerkbar zu machen, nachdem bereits die halbe Welt, Asien und die Neue Welt inbegriffen, vom Netz der Jesuitenkollegien und Missionen überzogen war. Doch je größer die Aktivität, die der Orden in jedem konkreten Land entwickelte, desto schneller mußten die Jesuiten dieses Land mit viel Krach verlassen – andernfalls begann es zu zerfallen. Es trat das in die Maschine listig eingebaute dritte Gesetz der vom noch nicht geborenen Newton noch nicht entdeckten Newtonschen Mechanik in Kraft. Für die Jesuitenpater völlig unerwartet mehrten sich urplötzlich unvorhergesehene Erscheinungen, und der Mechanismus wies Aussetzer auf. Eine nach der anderen folgten Vertreibungen der Jesuiten aus dem Norden Frankreichs, aus Venedig, aus England – „auf immer und ewig“. Der aufopferungsvolle Fanatismus erwies sich als ergebnislos, das Martyrium vieler Jesuiten – als fruchtlos. Ihre Intrigen riefen den Haß der Völker hervor und ihre Gleißnerei nebst Verkleidung – so bei der Landung in England – den Zorn der Könige. Prallten die Interessen der Könige und die des Papstes aufeinander, waren die Jesuiten genötigt, Purzelbäume zu schlagen wie die Läuse auf einem Kamm, worin sie bestens ausgebildet und trainiert waren. Der Norden jedoch blieb für sie unangreifbar und fiel endgültig von Rom ab. Die Verwandlung nördlicher Meere in lutherische Binnenseen brachte sie zur Raserei, doch sie waren nicht mehr imstande, etwas dagegen zu tun. Das seltsamste jedoch war, daß in den Ländern, in denen die Jesuiten einen endgültigen Sieg errungen zu haben schienen, es allmählich zu einer politischen und wirtschaftlichen Auszehrung des Staates kam. Es folgte das Abfallen von Gebieten, die, wie sich später herausstellte, die eigentliche staatliche Stärke dieser Länder ausmachten. So rollten Portugal und Spanien ihrem Untergang entgegen, bis sie gänzlich aufhörten, als Imperien zu existieren. Polen büßte die Ukraine ein, worauf ein Jahrhundert später unumwunden seine endgültige Aufteilung folgte und somit das Ende der Existenz Polens als Staat. Und, wie die Polen in solchen Fällen sagen, die Jesuiten haben „ihren Finger darin naß gemacht“. Die Intrige mit Mary Stuart, die Expedition der „unbesiegbaren Armada“, die Union von Brest, der Feldzug des „falschen Demetrius“ gegen Moskau führten zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen als den erwarteten. Der Orden, der als der größte Holzscheit ins Feuer des Katholizismus geworfen worden war, diente in allen diesen Fällen lediglich als Katalysator der bereits laufenden Prozesse.
In Europa schien es auf ein hart umkämpftes Remis hinauszulaufen. Der Religionskrieg nahm den Charakter eines langwierigen Stellungskrieges mit sporadischen Ausfällen und lokalen Erfolgen an. Rasende Polemiker und Genien der Kasuistik wie Laínez und rastlose Emissäre wie Possevino wurden von feinsinnigen Diplomaten, Beichtvätern und Erziehern abgelöst. Es blieb jedoch noch reichlich Pulver in den Fässern, und die Ordensgeneräle richteten immer öfter ihre Blicke auf die hinausfahrenden Karavellen und Galeonen der Seefahrer – auf der Suche nach einem Betätigungsfeld für die unaufgebrauchte Energie der geistlichen Conquista.
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