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Cover Lettre International, Adriana Molder
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LI 104, Frühjahr 2014

Ungarn. Horthy

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Die herzensfroheste Erinnerung an die Geschichte gilt heute Konteradmiral Miklós Horthy, dem letzten Flottenkommandanten der k. u. k. Kriegsmarine im letzten kurzen Abschnitt der Monarchie. Um dieses Amt hatte er sich beworben, und es wurde ihm im März 1918 auch angetragen, zu einem Zeitpunkt, als kompetentere Anwärter lieber verzichtet hatten und in diesem Krieg schon alles verloren war. Im Oktober 1918 wurde er wieder entbunden: Die österreichisch-ungarische Monarchie hatte sich aufgelöst, Admiral Horthy hatte kein Schiff mehr zu befehligen. Vom Drang zu weiteren Taten erfüllt, schloß er sich einer Riege protofaschistischer Offiziere und Freischärler an und organisierte den Rachefeldzug gegen die bereits geschwächten räterepublikanischen und liberalen Kräfte. Seine Bewegung bekam den Namen „Weißer Terror“.

Die Urlüge

Die darauf folgende lange Regentschaft Horthys gründet auf einer Urlüge, an der bis heute festgehalten wird: Die Anerkenntnis als Reichsverweser seitens der Westmächte hatte er nur unter der Bedingung erhalten, daß er dem Vertrag von Trianon zustimmte. Bestandteil des Friedensvertrages war, daß Ungarn, das wegen seiner katastrophalen Minderheitenpolitik als Mitverursacher und Verfechter des Krieges angesehen wurde, auf einen Teil seiner im Laufe der Geschichte abwechselnd eroberten, verlorenen und wieder zurückeroberten Gebiete mit einem maßgeblichen Anteil an anderssprachigen Bevölkerungen verzichtet. Horthy unterschrieb den Vertrag. Erst einmal an der Macht, gelang es ihm, Trianon als „Ausverkauf“ des Landes, diesen bis heute kultivierten, immer neu aufzufrischenden Leidquell, den – inzwischen toten oder emigrierten – Sozialisten, Kommunisten und Liberalen unterzuschieben. Jenen Politikern und Personenkreisen also, die gegen die Unterzeichnung des Vertrages protestiert und Neuverhandlungen gefordert hatten. Diese Infamie genügte, um sich den Nimbus eines Landesretters zuzulegen, der später einmal Rache nehmen würde. Legenden solcher Größenordnung haben es nicht allzu schwer, sich in einem Land völliger Unaufgeklärtheit und dürftiger Allgemeinbildung bis in alle Ewigkeit zu erhalten.

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Heute hört man couragierte Leute einander sagen, alles Schlimme komme vom Mangel an Zivilcourage. Wie sollte sie je da sein ohne die Konfrontation mit Geschichte und Gegenwart und der damit verbundenen Chance, daß Zivilcourage erst entsteht. Die Halbherzigkeit der Geschichtsschreiber läßt vermuten, daß sie ihr Thema lieber schnell loswerden wollen, als sei es ihnen zu heikel. Als seien sie vom vermeintlichen Charisma der Dinge bewegt, wollten aber selber nichts bewegen: Durch ihre feigen Unterlassungen entsteht ein Geschichtsbild, als habe es während der Verheerungen keinen politischen Willen gegeben, keine Mentalitäten, keine Mordlust, keine Perversionen, keinen Sadismus. So wurde und wird ihre Darstellung zur Ausbeute für sämtliche Politiker und politischen Strömungen der Nachkriegszeit, in der es stets heißt, die Schuld an den Katastrophen – die sich seit Bestehen des Landes beständig ereignen – trügen jeweils „ungünstige“ Umstände. Das stärkt nicht nur die ohnehin übersteigerte Neigung zum Selbstmitleid, verleitet nicht nur zur krankhaften Selbstgerechtigkeit. Es besagt auch, daß es ein Leichtes ist, einander widersprechende Geschichtsauffassungen durchs Land kursieren zu lassen und es zu einer Sache des persönlichen Geschmacks zu erklären, wessen Erzählung Glauben geschenkt werden soll. Jedermann darf sich sein eigenes Opfertum zusammenphantasieren. Mit dem derart funktionalen Analphabetismus operiert die Politik und nutzt die Kraft der Legendenbildung. Geschichte ist kein Gefüge von Handlungen, sie lehrt nicht, vermittelt keinen Sinn; ihr einziger Zweck ist, zum momentanen strategischen Vorteil instrumentalisiert zu werden. Seriöse Politologen und Historiker schütteln darüber den Kopf, haben aber weder die Energie noch eine Chance, sich bemerkbar zu machen.

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.