LI 85, Sommer 2009
Um jeden Preis
Über Carl Schmitt und die Rechtfertigung der Röhm-MordeElementardaten
Textauszug
(...) „Der Führer schützt das Recht.“ Ein niederträchtiger, ein infamer Aufsatz. Das Richtertum des Führers flösse bereits aus seinem Führertum, ohne Rücksicht auf wohlerworbene Rechte, Gesetze, die Verfassung. Sogar die gesetzliche Rechtfertigung der Juni-Morde hielt Carl Schmitt für falsch, weil sie die ohnehin bestehenden Naturnotwendigkeiten des echten Führertums zu verdecken geeignet seien.
Jedoch war Schmitt in dieser Hinsicht beileibe kein Solitär. Seine Eruption fachlicher Niedertracht hatte zahlreiche Vorläufer, Reinhard Höhn etwa, der kurz zuvor in seiner Wandlung im staatsrechtlichen Denken Adolf Hitler „richtunggebend“ voranschreiten und ihm dabei unter anderem die Zuständigkeit für die Ausübung der Gerichtsbarkeit zukommen ließ. Karl Larenz hatte der „Einheit von Volkswille und Staatswille ihren sichtbarsten Repräsentanten und Bürgen“ im Führer beschert und diesen kraft Führertums zum „Hüter der Verfassung“ erklärt. Nach Theodor Maunz wiederum vertrugen „die politischen Führerentscheidungen … keinerlei Kontrolle durch einen justizförmigen Apparat“. Und in einem unmittelbar nach Carl Schmitts Beitrag veröffentlichten Aufsatz deklarierte Ernst Rudolf Huber die Einheit der Staatsgewalt und machte die politische Führung zur „Gesamtgewalt, die allen Einzelfunktionen überlegen und übergeordnet ist“.
Die Vorstellung, der Führer sei zugleich Fürst, brodelte in der Rechtswelt, und Carl Schmitt erwies sich wie so oft als derjenige, der dem bestehenden Gärungsprozeß nachspürte, ihn aufgriff und mit einer eingängigen Formel verbindlich abschloß. Schmitt erfüllte die Funktion des Zeitgeistverstärkers vorbildlich; die Selbstbeschneidung des Rechts gehörte unter Juristen bald zum guten Ton. Besonders anschaulich wird dies am letzten Exemplar rechtswissenschaftlicher Graphomanie, dem siebenbändigen Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. Dessen abschließender Band war bereits 1931 erschienen, doch nach den Fackelzügen von 1933 entstand das Bedürfnis nach einem Ergänzungsband, der die nationalsozialistische Rechtsentwicklung verbindlich zusammenfassen sollte. Das Werk erreichte 1937 den Markt; darin finden sich zwischen den Einträgen „Forstrecht“, „Freiwillige Gerichtsbarkeit“, „Funkrecht“ und „Gaststättenrecht“, fugenlos eingebettet in den geduldigen Gang des Alphabets, die neuen Rechtsbegriffe „Führer“, „Führergrundsatz“, „Führertum“. Der Kommentator führt aus: „Wo der Führer der Volksgemeinschaft richtet, da spricht diese selbst Recht. (…) Wo es um das Lebensrecht des Volkes selbst geht, ist der Führer verantwortlich für das Schicksal des Volkes und daher auch sein Richter“, unter dankbarer Anleihe bei der Autorität Carl Schmitts und seinen „ausgezeichneten Darlegungen“ in der Juristen-Zeitung. Weiter heißt es, der Führer sei „seinem Gewissen und damit dem Volke und dessen Auslese in der NSDAP“ verantwortlich, wobei das jedoch nicht bedeute, „daß das Volk den Führer in irgend einer Form konkret zur Verantwortung ziehen könnte“. Die Selbstenthauptung des Rechts war vollendet.
Geschadet hat sie niemandem. Günther Küchenhoff, der Autor dieser Zeilen, schwadronierte schon 1948 von „Naturrecht und Christentum“, Reinhard Höhn gründete die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Karl Larenz avancierte zum verehrten Klassiker der bundesrepublikanischen Rechtswissenschaft, dessen Lehrbücher ganze Generationen von Juristen prägten. Theodor Maunz verfaßte mit professoralen Würden den maßgeblichen Kommentar zum Grundgesetz, wurde der akademische Lehrer des späteren Bundespräsidenten Roman Herzog und schrieb nebenher für die rechtsextreme Deutsche Soldaten-Zeitung. Ernst Rudolf -Huber wurde 1952 Dozent, 1956 Honorar- und ein Jahr später richtiger Professor und etablierte sich als einer der führenden Verfassungshistoriker. Selbst Otto Koellreutter, der bereits im November 1933 verkündet hatte, die Konzentrationslager seien zwar keine „betont rechts-staatliche Einrichtung“, aber, „solange den Grundlagen des völkischen Staates noch Angriffe“ drohten, „zur Sicherung der neuen Staats- und Rechtsgrundlagen unentbehrlich“, konnte sich nach dem Krieg in die Emeritierung retten und so seine Pensionszahlungen sichern.
Und Carl Schmitt? Der ging nach Plettenberg, ohne Lehrstuhl, ohne Rente. Warum? Qualifizierte ihn allein seine wissenschaftliche Perversität bis ans Ende seiner Tage für die Position des „intellektuell Aussätzigen“? Nach einer Zeit, in der sich die deutschen Untertanen zu immer peinlicherer Anbiederung an das Regime verstiegen hatten? In der gerade die Juristen die Verwaltung von Recht zu einem immer beschämenderen Wettlauf darum gemacht hatten, wer von ihnen die hemmungsloseste Hure der Macht sei? Carl Schmitt war sicher einer der exponiertesten und erfolgreichsten Teilnehmer dabei, aber wenn man bedenkt, daß nach 1945 auch die aktive Mitarbeit an Euthanasieprogrammen und Menschenversuchen kein prinzipieller Hinderungsgrund für einen Lehrstuhl war, dann fällt es schwer, seinen Karrierebruch allein auf wissenschaftliches Versagen zurückzuführen.
(...)