LI 81, Sommer 2008
Der Birmanische Elefant
Militärmacht und Realitätskontrolle - Anatomie eine UnterdrückungElementardaten
Textauszug
(...) Nur wenige Tage nach der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste landete ich in Birma. Rangun erweckte den Eindruck, als sei nie etwas geschehen. Die gewohnten Straßenszenen waren alle an ihrem Platz. Vor den Teeläden saßen Männer in Gruppen auf niedrigen Hockern. Sie trugen den Longyi, den birmanischen Sarong, an den Knien umgeschlagen. Sie rauchten Cheerot-Zigarren und plauderten. Die Bürgersteige waren voll von Marktständen mit dem üblichen Angebot, das von raubkopierten DVDs mit koreanischen Seifenopern und Mr. Bean-Episoden bis hin zu frisch aufgeschnittenen Wassermelonen reicht. Auf den Straßen fuhren rostende Taxis und verbeulte Busse mit Pendlern dicht an dicht. Obwohl das Regime eben noch seine barbarische Brutalität demonstriert hatte, gab sich die ganze Stadt den Anschein der Normalität. Ein birmanischer Freund begrüßte mich mit den Worten: „Willkommen in meinem wunderbaren Land! Hier hat soeben ,nichts‘ stattgefunden.“
Es gab nur noch wenige Indizien für die Proteste der vergangenen Wochen. So waren die Auslagen einiger relativ exklusiver Geschäfte mit Bretterverschlägen geschützt. Der Stacheldraht, mit dem das Militär während der Demonstrationen Straßen abgesperrt und Regierungsgebäude abgeriegelt hatte, lag zusammengerollt auf den Bürgersteigen. Üblicherweise sind in den Straßen von Rangun keine größeren Abordnungen von Soldaten zu sehen, und auch jetzt entdeckte ich nur hier und da Anzeichen einer verstärkten militärischen Präsenz. So waren an den Eingängen mancher Pagoden Wachtposten aufgestellt. Sie durchsuchten die Taschen der Besucher. Auf einem belebten Marktplatz in der Innenstadt von Rangun hielten sich einige kampfbereite Soldaten in einem zweckentfremdeten Markthäuschen halb verborgen. Sie trugen Maschinengewehre und grellrote Halstücher, die sie als Angehörige einer Sondereinheit auswiesen.
Die wichtigste Veränderung war eine Abwesenheit, die ich nicht sofort bemerkte: Es fehlten die Mönche in ihren blutroten Kitteln, denen man sonst überall im Land begegnet. Gewöhnlich ziehen sie bei Tagesanbruch im Gänsemarsch durch die Stadt und sammeln Almosen von Menschen, die sich mit Lebensmittelspenden Verdienste um ihr Karma erwerben wollen. Außerdem sieht man normalerweise den ganzen Tag über Mönche zwischen den vielen klösterlichen Anlagen Ranguns hin- und hergehen. Doch nach den Demonstrationen waren die Mönche fast völlig verschwunden. Ich entdeckte nur einige wenige, meist ältere Männer, die alleine oder umgeben von kleinen Gruppen schmuddeliger Novizen mit ihren schwarz glänzenden Almosenschalen um Kleingeld baten. Die Frage, die mir in diesen ersten Tagen meines Aufenthalts in Rangun von Freunden am häufigsten gestellt wurde, lautete: „Wohin sind die Mönche verschwunden?“ Niemand kannte die Antwort. Jemand erzählte mir, daß einige Klöster von Soldaten besetzt seien. Es gab Vermutungen, daß die Mönche geflohen seien und sich in privaten Wohnungen versteckt hielten. Es gab auch Gerüchte von Mönchen, die man ihrer Kluft beraubt und zurück in ihre Heimatdörfer geschickt hatte.
Die Maschinerie der Realitätskontrolle lief auf vollen Touren, und niemand außer den Machthabern wußte irgend etwas mit Sicherheit. Sämtliche Medien Birmas unterliegen strenger Kontrolle. Während staatliche Zeitungen, Fernseh- und Radiosender unablässig die Propaganda der Regierung abspulen, werden auch die relativ unabhängigen Medien strikt zensiert. Die Wochenzeitschriften durften während der Demonstrationen und in der Zeit danach nicht über die Ereignisse berichten. Ihre Schlagzeilen handelten statt dessen von Überflutungen in Rangun. Mangels verläßlicher offizieller Nachrichtenquellen ist man in Birma auf Mund-zu-Mund-Propaganda angewiesen, wenn man etwas über das Geschehen erfahren will.
(...)