LI 100, Frühjahr 2013
Elegie der Zeit
Elementardaten
Genre: Erzählung
Übersetzung: Aus dem Chinesischen von Karin Betz
Textauszug: 1.579 Zeichen von 15.692 Zeichen
Textauszug
(…)
Mit den Körpern griffen wir die rechte Flanke des Feindes an, unsere Seelen aber durchbrachen mit dir von links die Belagerung. Dort, wo die ferne Heimat liegt, bist du die Heimat; dort, wo der ferne Geliebte weilt, bist du der Geliebte. Dort, wo das ferne Grab deiner Vorfahren ist, werfen wir uns vor dir in den Staub. Was wird einmal aus dem Schlachtfeld von heute werden? Ackerland? Sanddünen? Schlösser? Endlose Wogen rollender Köpfe? Oder ein Urchaos, in dem nichts existiert? Wie groß ist der Vollmond, wie fett, wie die Brüste einer Frau, eingeklemmt zwischen zwei Felsen, so hoch wie zehn aufgetürmte Paläste. Und ganz oben wirst du stehen und für uns singen. Elegie ... Elegie ... Elegie ... bis die Menschheit ausgestorben ist, bis du als Abstraktion aus den Schatten der Diener des blauen Himmels hervortrittst, zu einem lauten Heulen wirst, einem Monolog, einem Dialog, zu einem Stimmengewirr aus tausend Monologen und Dialogen. Du wirst uns in einer Melodie einsperren, einem leeren Raum, einem niemals erschöpften Penis, Generation um Generation, wie angenehm, angenehm, der Wind, der die Flöte bläst, streicht den Horizont entlang über unsere Rücken, der Tod ist ein schweres Laster. Der Wachmann hat es schwer, dunkelgrüne Wolken hüllen ihn ein, den abgestandenen Blutlachen entströmt der säuerliche Geruch nach Landwein. Ein sich windender Graben ... wie viele Kämpfe, wie viele innere Unruhen und Massaker ... Brüder, seid ihr bereit? Ach was, niemals! Niemals, niemals ...
Wir haben bereits die eigene Elegie vernommen.
(…)