LI 114, Herbst 2016
Theatergeschrei
Aslan und Doderer versuchen, im Burgtheater gemeinsam zu schweigenElementardaten
Textauszug
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Sagte Doderer „Doderer“, so sagte Aslan „Byron“, sagte Doderer „Grillparzer“, antwortete Aslan mit „Byron“, sagte Doderer „Hamlet“, wiederholte Aslan nichts anderes als „Byron“. Immerhin waren der Schauspieler und Lord Gordon enger miteinander verbunden, als ein österreichischer „Ritter von“ und ein Burgschauspieler je hätten verbunden sein können, ob sie nun Nachbarn waren oder nicht.
Das hatte mit Griechenland zu tun: Der eine (Aslan) war dort geboren, der andere (Byron) wollte dort geboren worden sein, anstatt zu sterben. Der eine beherrschte alle Sprachen, ohne Frauen zu brauchen, der andere studierte sie mit mancher Anstrengung und Freude zwischen den Frauen oder den Beinen derselben. Der eine haßte das Schwimmen und ging auf seiner Bühne wie auf einer hölzernen Insel, umspült „von einem Meer von Plagen“, der andere wollte sich vorzüglich schwimmend fortbewegen, weil er auf dem Festland schon oft das Gleichgewicht verloren hatte und in einem Kloster eher seekrank werden konnte als auf einem Schiff. Der eine liebte Ziegen „so lebendig wie möglich“, der andere schlug ihnen gerne den Kopf ab. Der eine war einzig und allein in seine eigene Stimme verliebt (wobei die Liebhaber dieses Organs in die Tausende gingen), der andere mochte nur die Stimmen seiner zweifelhaften Comtessen und Ruderfreunde um Mitternacht. Dennoch, oder gerade deshalb, waren beide enger miteinander verwandt, als sie es sich zugestehen wollten. Während der eine nur vom Sterben redete und Angst hatte davor (was seine „Ziegenärztin“ erfolglos zu behandeln versuchte), wollte der andere nichts anderes, wenigstens hintergründig, unter Wasser sozusagen.
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Zum Schrecken Aslans war Byron für den Nachbarn Doderer so gut wie inexistent. Er hatte kaum etwas von ihm gelesen und wenn, dann nur flüchtig, im Krieg, im Schatten einer britischen Gulaschkanone. Aslan war nicht im Krieg, weder in einem griechischen noch in einem österreichischen, und hatte auch deshalb Byrons Werke geradezu verschlungen. Die Unterschiedlichkeit, auch zeitlich gesehen, war unbedeutend, der eine deklamierte etwas, auch sich selbst, nach innen, der andere nach außen. Beiden war das Durcheinandergehen von innen und außen auch physisch sehr vertraut, so wie auch das „Auf-der-Zunge-Liegen“ für Worte und alles andere gleichermaßen gelten konnte. Byron, so Doderer zum geschockten Aslan, wäre nicht nur ein schlechter Soldat gewesen, sondern ein verantwortungsloser Versewurschtel, der mit der Poesie die Prosa, das „Eigentliche“, immer wieder in höchste Gefahr bringen wollte. „Alles Geverste ist ein Ververstes und dadurch ein Verwestes, auch wenn die Tinte noch feucht ist – oder die Leserin – oder die Zunge des verversten Märchenhelden“, versuchte Doderer seinem Nachbarn Aslan den Sachverhalt darzustellen, was diesen zu einem Wutanfall bewog, der sehr theatralisch bald in ein Schluchzen umschlagen mußte, ein Burgtheaterschluchzen, das Doderer erst recht nicht verstand.
„Da wird ein riesiges Haus, ein Protzbau an der Wiener Ringstraße errichtet, in dem nichts anderes getan wird, als zu überhöhten Eintrittspreisen geschluchzt, ganz zu schweigen von den Stromkosten“, setzte Doderer nach und bettete den Kopf des mittlerweile still weinenden Aslan in seinen Schoß. Auch dieses stille Weinen war gut eingeübt, es handelte sich um das „Flüsterweinen“ von Hamlet als Säugling, der in den Armen eines seiner Mörder in den Schlaf gewiegt wurde, Jahre, bevor das wirkliche Stück beginnen sollte. Aslan sah in Byron eine Reinkarnation Hamlets mit anderen Mitteln oder auch das dramaturgische Urbild jenes „Ruderers vom Alpenstrich“, den er am Grundlsee, im Schatten des Toten Gebirges kennen und lieben gelernt hatte. Doderer war seinerseits, was Österreich betrifft („es ist ein gutes Land“?), über Prein an der üppigen und äußerst lebendigen Raxalpe nicht hinausgekommen und hatte auch kein Bedürfnis nach Bergen, die totenstarr und trocken in den Himmel ragen. Aslan schwärmte seinerseits von den „Gestaden“ Thessalonikis, denen Doderer nur Krasnojarsk entgegenzusetzen hatte. Von russischen Oliven hatte Aslan nie gehört, Doderer konnte die allzu öligen griechischen Oliven nicht leiden. Aslan liebte die Armenier, Doderer konnte nur den Tscherkessen etwas abgewinnen. Aslan schwärmte Byron zuliebe von den Griechen, Doderer war eher den Mongolen zugetan. Sie wären die besseren Bogenschützen gewesen und äußerst gewandte Taucher, weniger Schwimmer, während, so Doderer zu seinem im Burgtheaterdeutsch wimmernden Aslan (eigentlich „Aslanian“), die Griechen vor allem zum Ertrinken geboren wären. Auch Aslans Furcht war verinnerlicht, theatralisch kostümiert, wie „trunken“ auch immer. Er schreckte vor allem zurück, was zu spitz oder einfach nur zugespitzt war. Zuallererst waren da die Pfeile des Bogenschützen Doderer: „Das Bogenschießen ist eine Kunst, die nur halbnackt in einer vollkommen nackten Landschaft ausgeübt werden darf – oder eben nackt auf der halbnackten Raxalpe“, so Heimito. Raoul kannte die Landschaft nur als zitternde Kulisse, die im Atem der Burgschauspieler zu erbeben hat.
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