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Cover Lettre International, Marina Roca Die
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LI 118, Herbst 2017

Demontage einer Weltmacht

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Anfang der 1950er Jahre wies Großbritanniens Status auf der Weltbühne zahlreiche Parallelen zur heutigen Position der USA auf. Nach einer schwierigen Phase der Erholung von den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs erfreute sich das Land eines robusten Arbeitsmarkts, lukrativer internationaler Investments und dem Prestige des Pfund Sterlings als weltweiter Reservewährung. Dank eines behutsamen Rückzugs aus seinem weltumspannenden Imperium und seines engen Bündnisses mit Washington erfreute London sich nach wie vor eines internationalen Einflusses, der in keinem Verhältnis zu einer kleinen Insel mit gerade mal fünfzig Millionen Bewohnern stand. Im großen und ganzen schien die Führungsrolle der Briten mit all den damit verbundenen ökonomischen Vorteilen auf Jahre hinaus gesichert.
Dann kam die Suezkrise. Nachdem sie ein Jahrzehnt lang eine Kolonie nach der anderen hatten aufgeben müssen, ließen britische Konservative sich unter dem daraus resultierenden Druck zu einer katastrophalen militärischen Intervention im Nahen Osten hinreißen. Der Versuch, den Suezkanal zurückzuerobern, sollte in London zu einer „schweren moralischen Krise“ und - wie ein britischer Diplomat später sagte - zum „Todeskrampf des britischen Imperialismus“ führen. In einem klaren Fall von „Mikromilitarismus“, wie Historiker das nennen, einem kühnen Militärschlag mit anderen Worten, mit dem die Briten sich etwas von ihrem schwindenden imperialen Einfluß zurückholen wollten, verbündeten sie sich mit Frankreich und Israel zu einer unseligen militärischen Invasion Ägyptens, die eine behutsame Abkehr vom imperialen Denken zum jähen Kollaps geraten ließ.
So wie der Panamakanal der amerikanischen Nation als strahlendes Beispiel ihrer Leistungsfähigkeit als Supermacht diente, so war britischen Konservativen der Suezkanal eine unverzichtbare Lebensader, die ihre kleine Insel mit ihrem weitläufigen Imperium in Asien und Afrika verband. Einige Jahre nach der grandiosen Eröffnung des Kanals 1869 gelang London der Deal des Jahrhunderts mit dem Aufkauf von Ägyptens Aktienpaket am Kanal zum Schnäppchenpreis von gerade mal 4 Millionen Pfund. 1882 dann konsolidierte man seine Kontrolle über den Kanal durch die militärische Besetzung Ägyptens, so daß die alte Kulturnation sich praktisch auf den Status einer inoffiziellen Kolonie reduziert sah.
Noch 1950 hatten die Briten dort 80 000 Soldaten stationiert und unterhielten eine Kette von Stützpunkten entlang dem Kanal. Der größte Teil des in der riesigen Raffinerie von Abadan im Persischen Golf produzierten Petroleums und Benzins ging durch den Suezkanal und betrieb die Marine, das heimische Transportsystem und einen Gutteil der britischen Industrie.
Nach entsprechender Einigung im Suez-Abkommen zog das britische Militär 1955 aus der Kanalzone ab. Der charismatische nationalistische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser unterstrich Ägyptens Neutralität im Kalten Krieg durch den Ankauf von Waffen aus dem Ostblock, was in Washington so manchen die Stirn runzeln ließ. Als die Regierung Eisenhower als Reaktion darauf die Zusage zur Finanzierung des Assuan-Staudamms am Oberen Nil zurücknahm, mußte Nasser sich nach einer alternativen Finanzierung umsehen. Als er im Rahmen dieser Suche im Juli 1956 den Kanal verstaatlichte, wirkte das elektrisierend auf die arabische Welt. Nasser gehörte fortan zur Topriege der Staatsoberhäupter.
Obwohl britische Schiffe den Kanal nach wie vor frei passieren konnten und Washington auf eine diplomatische Lösung des Konflikts drängte, reagierte Großbritanniens konservative Regierung mit irrationaler Hysterie. Unter dem Deckmantel pseudodiplomatischer Manöver zur Täuschung Washingtons, Großbritanniens engstem Verbündeten, traf der britische Außenminister sich in der Nähe von Paris mit den Premierministern Frankreichs und Israels, um einen Zwei-Stufen-Plan für eine so komplexe wie hinterhältige Invasion Ägyptens auszuhecken: 250 000 alliierte Soldaten mit Unterstützung von 500 Flugzeugen und 130 Kriegsschiffen - Ziel war selbstverständlich die Sicherung des Kanals.
Am 29. Oktober 1956 fegte die israelische Armee unter der Führung des schneidigen Generals Moshe Dayan über den Sinai und rückte über die Wracks ägyptischer Panzer hinweg vor bis auf zehn Meilen an den Kanal. Unter dem Vorwand einer Intervention zur Wiederherstellung des Friedens schlossen sich Kräfte der englisch-französischen Marine und Luftwaffe dem Überfall an; von sechs Flugzeugträgern aus geflogene Bombeneinsätze zerstörten die ägyptische Luftwaffe, darunter über hundert neue russische MIGs. 3 000 ägyptische Soldaten fielen, 30 000 gerieten in Gefangenschaft. Als der Widerstand des ägyptischen Militärs schließlich zusammenbrach, ließ Nasser sich eine so brillante wie simple Taktik einfallen: Er ließ in aller Eile einige Dutzend rostiger Seelenverkäufer an der Kanalmündung auffahren und mit Steinen und Mörtel füllen. Auf diese Weise kappte er Europas Ölversorgung durch den Persischen Golf.
Gleichzeitig erwirkte UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld mit Unterstützung Washingtons nach nur neun Tagen Kampfhandlungen einen Waffenstillstand und stoppte so den anglo-französischen Angriff, bevor der Kanal in seiner Gänze genommen war. Präsident Eisenhowers kategorische Weigerung, seine Verbündeten mit Öl oder Geld zu unterstützen, und die drohende Verurteilung durch die UNO zwangen die Briten bald zu einem schmählichen Rückzug. Aufgrund der immensen Kosten der Invasion finanziell vor dem Kollaps, ließ sich auch der offizielle Wechselkurs des Pfunds nicht halten, was dessen Status als weltweite Reservewährung erheblichen Abbruch tat.
Urheber dieses außerordentlichen Debakels war Sir Anthony Eden, ein problematischer Premier, dessen Laufbahn auffallende Parallelen zu der von Donald Trump aufweist. Als privilegierter Sproß einer grundbesitzenden Dynastie genoß Eden von der Privatschule bis zur Eliteuniversität die beste Ausbildung. Nach Antritt eines beträchtlichen Erbes ging er als Konservativer in die Politik und nutzte seine politischen Verbindungen, um sich in der Finanzwelt zu versuchen. Eden, der sich gern zum Rebellen gegen die Engstirnigkeit überkommener Institutionen stilisierte, war unglücklich unter Churchills Führung der Konservativen während der Nachkriegszeit. Mit endlosen Grabenkämpfen, gutem Aussehen und imposantem Haupthaar schob er den großen Mann schließlich beiseite und wurde 1955 Premier.
Als Nasser den Suezkanal verstaatlichte, ging Eden in einem stürmischen Anfall ichbezogener Entrüstung auf seinen Außenminister los: „Was soll der Unfug, Nasser isolieren zu wollen? Ich will ihn vernichtet sehen, haben wir uns verstanden? Ich möchte, daß man ihn liquidiert, und wenn Sie und das Außenministerium das anders sehen, dann kommen Sie ins Kabinett und erklären, warum.“ In der Überzeugung, Großbritannien sei nach wie vor die große Weltmacht von einst, verwarf Eden den guten Rat, sich darüber offen mit Englands engstem Verbündeten auszutauschen, den USA. Als seine kühne Intervention zum diplomatischen Desaster geriet, konzentrierte der Premier sich auf die Manipulation der heimischen Medien, verwechselte aber dabei die gewogene Berichterstattung im eigenen Land mit der Unterstützung der westlichen Welt.
Als Washington - als Preis dafür, der unter den Kriegskosten einknickenden britischen Wirtschaft finanziell aus der Patsche zu helfen - auf einem Waffenstillstand bestand, zog Eden die Hörner ein und verwehrte seinen Truppen auch nur den Schein eines Sieges, was ihm im Parlament einen Sturm der Entrüstung eintrug. Die Demütigung durch den erzwungenen Rückzug kompensierte Eden psychisch, indem er MI-6, dem britischen Gegenstück zur CIA, einen zweiten, nicht weniger unglücklichen Mordversuch an Nasser auftrug. Da ihr Mann vor Ort in Wirklichkeit ein Doppelagent und loyaler Anhänger Nassers war, hatten die ägyptischen Sicherheitskräfte die britischen Agenten bereits festgesetzt, und die an die Auftragskiller gelieferten Waffen erwiesen sich als unbrauchbar.
Im Sperrfeuer der Fragen zorniger Parlamentarier ob seiner heimlichen Kollaboration mit den Israelis log Eden wiederholt und schwor, keine „vorherige Kenntnis davon gehabt zu haben, daß Israel Ägypten angreifen“ würde. Demonstranten bezeichneten ihn als „zu blöde für einen Premierminister“, Oppositionsmitglieder lachten ganz offen, wenn er vors Parlament trat, und sein eigener Außenminister warf ihm vor, „auf imaginäre Feinde loszugehen wie ein rasender Elefant“.
Nur Wochen nach Abzug des letzten britischen Soldaten aus Ägypten sah Eden sich, Opfer seines Allmachtswahns, diskreditiert und in Ungnade gefallen, zur Abdankung gezwungen - und das nach nur 21 Monaten im Amt. Seine unselige Operation verwandelte den einst so starken britischen Löwen in ein zahnloses Zirkustier, das sich bis heute auf den Rücken legt, wann immer Washington mit der Peitsche knallt.
Machtverlust der USA
Bei allen offensichtlichen Unterschieden hinsichtlich ihrer ökonomischen Umstände, die eine oder andere aufschlußreiche Parallele zwischen der britischen Nachkriegspolitik und Amerikas heutigen Problemen ist nicht zu übersehen. Amerika hat - wie damals Großbritannien - seinen Zenit als Hegemonialmacht überschritten; die USA leiden - wie damals Großbritannien - unter einer schleichenden Erosion wirtschaftlicher Macht in einer in rascher Veränderung begriffenen Welt, was damals wie heute zu erheblichen sozialen Spannungen und unreifen politischen Führungspersönlichkeiten führt. Edens unbesonnene Großmäuligkeit hatte nichts mehr von der routinierten Diplomatie eines Disraeli, Salisbury oder Churchill; einen ähnlichen Niedergang wie Großbritanniens Konservative haben auch die Republikaner hinter sich, denkt man an Teddy Roosevelt, Eisenhower und George H. W. Bush und das Feld von 17 Kandidaten für die Vorwahlen von 2016 - die versprachen, eine unendlich komplexe Krise wie die im Nahen Osten durch brandgefährliche Maßnahmen - Bomben, bis der Wüstensand glüht, oder Folter für Terroristen - lösen zu wollen. Und angesichts beängstigender internationaler Herausforderungen entschieden sich die amerikanischen Wähler - wie seinerseits die britischen - für einen attraktiven, aber letztlich labilen Führer, dessen Allmachtswahn dazu angetan ist, sie in eine militärische Katastrophe zu führen.

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.