LI 90, Herbst 2010
Sarkoberlusconismus
Wie ein tele-realer Präsident einen Unternehmensstaat inszeniertElementardaten
Textauszug
(Auszug/LI 90)
(...) Der Sarkoberlusconismus begründet die politische Sphäre neu, indem er zur Publikumswerbung Techniken des Marketings und des Fernsehens anwendet. Um dieser heutigen Form des als Einheit einer Symbolik (des Unternehmens) und einer Theatralisierung (des Fernsehens) verstandenen Politischen einen Namen zu geben, schlage ich das neue Wort commanagement vor, das die Begriffe „Kommunikation“ (communication) und „Management“ miteinander verbindet. Diese Bezeichnung ermöglicht es, die Verschmelzung von Managementtechniken des Unternehmens mit denen der Neo-TV-Szenarisierung anzuzeigen, um das Politische mit den Begriffen des Wettbewerbs (compétition), des Konsums (consommation) und des Mitgefühls (compassion) neu zu formulieren. Commanagement drückt die Tatsache aus, daß ausnahmslos allen Institutionen, ja der gesamten Gesellschaft das Managementdogma der efficiency und die Formen der medialen Dramatisierung aufgezwungen werden.
In einer Zeit der umfassenden Deregulierung stellt das commanagement den Kontrapunkt und das Gegengift zur Hegemoniekrise des Nationalstaats dar. In den meisten Ländern tritt der Nationalstaat den Rückzug in doppelter Hinsicht an: im wirtschaftlich-sozialen Bereich (durch Privatisierungen oder die Übertragung von Regulierungsaufgaben und Zuständigkeiten) und auf symbolischer Ebene durch die Übernahme von dem Großunternehmen entlehnten Begriffen und Methoden der „Führung“ (governance), in welche die Regierung (gouvernement) umgedeutet wird. Das commanagement besetzt den Raum, der durch die Krise der Repräsentation und infolge der Kritik am Sozialstaat frei wird, und schafft einen neuen, durch Vorschriften durchzogenen symbolischen Raum von Überzeugungen, die um die technisch-ökonomische Effektivität, den Hauptwert des neoliberalen Staates, herum strukturiert sind.
Der Sarkoberlusconismus ist unablässig dabei, dem Staat den Etatismus (den des Sozialstaates) auszutreiben und das Politische umzugestalten, denn er will eine liberale Erneuerung erreichen, indem er den Hauptzug des Thatcherismus weiterführt, der seinerseits vom Blairismus neu interpretiert wurde. Der von Sarkozy als „Unternehmerstaat“ bezeichnete neoliberale Staat ist kein schwacher Staat. Ganz im Gegenteil, er ist interventionistisch – aber bei eingeschränkten Funktionen. Erinnern wir an die Bemerkung Stuart Halls, um zwiespältige Aussagen über den neoliberalen Antietatismus zu vermeiden: „Eine ‘antietatistische’ Strategie ist keine Strategie, die es ablehnt, durch den Staat zu wirken; sie ist eine Strategie, die die Rolle des Staates einschränkt und sich entfaltet, indem sie sich auf ideologischem Gebiet bemüht, sich als antietatistisch darzustellen, um eine populistische Mobilisierung zu erreichen.“
Da der Sarkoberlusconismus aus dem Unternehmen den Bezugspunkt des Staates macht, strebt er – auch wenn er das leugnet – danach, das angelsächsische Regulierungsmodell in Ländern mit der katholischen Tradition des römischen Rechts durchzusetzen. Aber der Staat ist kein beliebiger Akteur: Er ist „das Organ, mit dem eine Gemeinschaft denkt“. Seine Schwächung oder gar Beseitigung rückt das Unternehmen als alternative Kraft sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf kultureller Ebene in den Vordergrund. Doch das Unternehmen, eine maßgebliche Institution des Kapitalismus, ist ephemer. Darum muß der Unternehmenskult durch eine spirituelle und eine ethische Dimension vervollständigt werden. Die erste Tugend einer solchen moralisierenden Transzendenz besteht darin, daß sie die mit dem Nationalstaat verbundenen laizistischen Werte zersetzt, und die zweite darin, daß sie den gefeierten Hedonismus des Machtmenschen mit einer spirituellen Dimension überblendet. Die Herausforderung, um nicht zu sagen, das Paradox des Sarkoberlusconismus, liegt darin: Wie läßt sich die in Italien oder Frankreich, „der ältesten Tochter der Kirche“, herrschende katholische Ethik mit dem neuen Geist des Kapitalismus vereinbaren?
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