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Cover Lettre International 86, Ewa Einhorn
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LI 86, Herbst 2009

Fata Morgana

Das Preußenschloß oder die schöne Schein des Profticenters

Die Welt bemüht sich, aus einer Finanzkrise zu lernen, die das Weltfinanzsystem und die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds führte. Undurchschaubare Produkte, Spielermentalität, gefälschte Bilanzen, kurzfristige Anreizsysteme, fehlendes Verantwortungsbewußtsein und realitätsblinde Euphorie, aus solchem Stoff waren die Träume gemacht, die ins Verderben führten. All das ist Gegenstand einer kritischen Debatte mit dem Ziel einer Reduzierung weltweiter Wirtschaftrisiken. Die Politik gibt sich den Anschein, ordnend einzugreifen, und bemüht sich um Einführung neuer Kontrollen für die Finanzmärkte, Begrenzung von Bonuszahlungen und vieles mehr. Doch die Haltungen und Praktiken des Kasinos sind nicht auf die Finanzwelt begrenzt. Berlin gehört zwar nicht zu den avancierten Finanzmetropolen der Welt, aber die dubiosen Praktiken, die zur Finanzmarktkrise führten, lassen sich hier gleichwohl aufspüren. Hinter der Kulisse des Solidität verheißenden Hohenzollernschlosses herrschen kreative Buchhaltung, Schwindeleien, und systematische Täuschung der Öffentlichkeit.

Die Wiedererrichtung des Preußenschlosses geht einher mit dem Versprechen einer bahnbrechenden Institution: der Einrichtung eines kosmopolitischen Forums von nie da gewesener deutscher Weltoffenheit. Dem Humboldt-Forum. Geleitet soll es werden von der reichen und mächtigen Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Idee eines Humboldtforums auf dem Berliner Schloßareal könnte man durchaus als geniale realpolitische Erfindung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz betrachten, um sich dieses Filetgrundstück unter Einbeziehung der beiden anderen Anrainer – Landesbibliothek und Humboldtuniversität – einzuverleiben. Durch die Verknüpfung des Preußen-Revivals mit Multikulti und spätsozialistischer Volkshausidee hatte man das denkbar größte Spektrum eingebunden oder zumindest befriedet. Vom deutschen Adel bis zur Partei Die Linke konnte sich fast jeder auf irgendeine Weise von diesem Projekt einer politisch korrekten Staatsräson angesprochen fühlen.

Das Prinzip Bigness ermöglichte die Mehrheiten: Das rekonstruierte Preußenschloß als großer Container, der alle Versprechen und Projektionen in sich aufnimmt. So widersprüchlich die Vorstellungen und Ideen waren, alles Wünschenswerte schien hinter dem gnädigen Schleier der Barockfassaden seinen Platz finden zu können. Und wer wollte an diesem wichtigsten Bau der Nation für Jahrzehnte nicht teilhaben?

Viele partizipierten, um von dem prominenten Ort und Projekt zu profitieren, aber niemand wollte und konnte die Verantwortung übernehmen. Das machte den Wiederaufbau des Berliner Schlosses zu einem Projekt der Uneigentlichkeit. Wenn man die Hülle wegnimmt, bleibt wenig an Substanz übrig. Dieser chimärenhafte Charakter zeichnet auch alle Akteure aus.

Der Bauherr ist eine Stiftung, die es noch nicht gibt, aber Programm, Entwurf, Gestalt und Budget liegen bereits fest. Mit der Planung wurde ein Konsortium beauftragt, bei dem ein Architekturbüro projektleitend ist, das im Architekturwettbewerb erfolglos ausgeschieden ist, während der Sieger quasi als Subauftragnehmer eingebunden wird. Denn er will den Großbau auch gar nicht selber bauen, am Ende eines beschaulichen Berufslebens.

Zwei der drei vorgesehenen Nutzer – die Landesbibliothek und die Humboldtuniversität – sind aufgrund ihrer drastisch reduzierten Flächen nur noch symbolisch präsent. Der angebliche Bürgerwille wird von einem Förderverein repräsentiert, der im wesentlichen eine One-man-show darstellt.

Das Projekt gilt als das wichtigste Kulturvorhaben des Bundes auf Jahrzehnte hinaus, doch der eigentlich zuständige Kulturstaatsminister hält sich aus dem Projekt heraus (offenkundig, weil er mit seiner langen politischen Erfahrung frühzeitig erkannt hat, daß es sich um eine Zeitbombe handelt, die mit einiger Wahrscheinlichkeit explodieren könnte). Der Bauminister betreibt das Projekt weniger aus innerer Überzeugung als aus dem Bemühen, am Ende seiner umstrittenen Amtsperiode kurz vor der Wahl ein Erfolgsprojekt vorweisen zu können. Doch mit diesem selbstgeschaffenen Zeitdruck könnte der engagierteste Antreiber des Projektes auch dessen Totengräber geworden sein.

Dieser Prozeß mit verschiedenen Akteuren in verkehrten Rollen förderte eine Kultur der Verantwortungslosigkeit, die an die Ursachen der Finanzmarktkrise erinnert: Scheinakteure, falsche Zertifizierungen, fehlende Kontrollen, geschönte Bilanzen, irreführende Werbung und Fehlinformation der Öffentlichkeit.

Es wurde versäumt, Unklarheiten aufzuklären. Kritiken wurden ausgesessen oder diffamiert, Probleme kaschiert. Das Aufrechterhalten des schönen Scheins verhinderte, daß dieses Projekt einen Lernprozeß durchschreiten und somit Substanz gewinnen konnte. Der Anschein eines glatten Ablaufs war dabei ein politisch-administratives Meisterwerk, denn es verdeckte ungelöste Probleme und gravierende Veränderungen. Von der Öffentlichkeit so gut wie unbemerkt, wurden zwei zentrale Akteure quasi ausgetauscht.

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.