LI 105, Sommer 2014
Skopje im Delirium
Der Postkommunismus im Spiegelkabinett oder die Tilgung der ModerneElementardaten
Genre: Essay, Stadtporträt
Übersetzung: Aus dem Kroatischen von Alida Bremer
Textauszug: 6.071 von 34.186 Zeichen
Textauszug
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Das Zentrum des einst sozialistischen, modernistischen Skopje sah in der grellen Märzsonne aus wie eine Styroporkulisse Roms oder Babylons für einen Hollywoodfilm mit Charlton Heston oder wie das Set für eine überzogene Kitschphantasie von Giovanni Pastrone oder Cecile B. DeMille. Das neue Skopje sah aus wie eine Mischung aus Las Vegas und Pjöngjang, aber eine Mischung gewürzt mit einer Prise Halikarnas und Aşgabat. Skopje – wie es Ministerpräsident Nikola Gruevski entworfen hat – war so verrückt wie die verrücktesten Phantasien des turkmenischen Diktators Saparmyrat Nyýazow.
Stundenlang ging ich mit staunenden Augen durch das Zentrum einer Stadt, die in meiner Erinnerung modern gewesen war. Ich lief durch Skopje und hatte das Gefühl, ich hätte jene phantasmagorische, labyrinthische Burg aus Borges’ berühmter Erzählung Der Unsterbliche betreten – jenes Schloß, in dem die toten Flure, die sinnlosen Treppen und die Geländer, die nirgendwohin führen, den Helden verrückt machen. Die Stadt, die sich vor mir erstreckte, war das Werk einer solchen aberwitzigen Logik.
Pomp und Nationalkitsch
Inmitten dieses Irrsinns befand sich das Reiterstandbild, das zwar nicht den Namen Alexanders des Großen trägt, aber wir alle wissen, daß er es ist, während Griechenland genau deshalb, „weil wir es alle wissen“, wütend ist und den Beitritt Mazedoniens zur NATO und zur EU verhindert. Der struppige hellenische Reiter steht auf dem einst hübschen geometrischen Platz Mazedonia, aufgebäumt in einer lächerlich unproportionalen Höhe, so daß er keinen würdigen Anblick abgibt. Der mazedonische Reiterheld steht mitten auf dem Platz, umgeben von Springbrunnen, antiken Hopliten und einem Bestiarium afrikanischer Prädatoren. Und um ihn herum befinden sich auf diesem einst puren und minimalistischen Platz Skulpturen verschiedener historischer Gestalten, verstreut wie Gartenzwerge. Sie sind aus allen Epochen und Nationen zusammengewürfelt: Philipp von Makedonien, der bulgarische Kaiser Samuil, der Byzantiner Justinian, der mazedonische Held Karpoš, der albanische Heerführer Skanderbeg. Herzöge und Kaiser, Gesetzgeber und Grammatiker. Byzantiner, Griechen, Albaner und Bulgaren. Sie alle sind in geometrischen Kreisen und Diagonalen aufgereiht, verwandelt in die urbane Konstellation einer jungen nationalistischen Konfabulation.
Die Skulpturen an sich sind schon schrecklich genug. Mit ihren unförmigen Gliedern, ihren Wurstfingern, mit ihren unnatürlichen Gesten sind sie allesamt von der handwerklichen Seite unbeholfen und armselig. Während wir an jenem Nachmittag diese Ansammlung von Schlümpfen betrachteten, die auf die Dimensionen eines Shrek aufgebläht sind, sagte meine Frau, die an der Kunstakademie studiert hat: „Mit einer derartigen Skulptur würde niemand das erste Studienjahr überstehen.“ Schon auf dieser Ebene ist Skopje 2014 ein Triumph des Dilettantismus. Skopje ist die Stadt, in der Steinmetze, die normalerweise die Engel auf den Friedhöfen gestalten dürfen, die Chance bekommen haben, ihre Landesmetropole zu verzieren.
Trotz allem waren die Statuen nicht das, was mich am meisten abgeschreckt hat. Ich war ja vorbereitet, und vor Ort waren sie nur etwas schrecklicher als das, was die Photos in bedrohlicher Weise angekündigt hatten.
Weitaus schlimmer als die Skulpturen waren die Gebäude. Plötzlich erhob sich vor uns am Ufer des Vardar schillernd eine monströse klassizistische Pralinenschachtel, die sich als Außenministerium entpuppte. Direkt daneben das ebenso beispiellose Museum für Archäologie. Seitlich vom Ministerium befindet sich die gerade fertiggestellte Glas-und-Stein-Imitation des Tempelchens Bramantes aus dem Innenhof der Kirche San Pietro in Montorio, in der – aus welchem Grund auch immer – die Finanzpolizei untergebracht ist. Das vierte Gebäude in der Reihe ist ein neubarockes Sammelsurium, in dem sich das – ich zitiere mit aller gebotenen Genauigkeit – Museum der Partei VMRO, des Kampfes für die mazedonische Staatlichkeit und der Opfer des Kommunismus befindet. Am anderen Ende des runden, einst vollkommen rationalen Platzes Mazedonia stößt man plötzlich auf einen wahrhaftigen römischen Triumphbogen, der eines Caesars Palace in Las Vegas würdig wäre.
Die Gebäude, die sich dem Betrachter darbieten, sind unwirklich, die Denkmäler sind unwirklich, doch am unwirklichsten sind die Details. Bis zum Zentrum des Finanz-was-auch-immer-Gebäudes führt zum Beispiel etwas, das sich „Brücke der Künstler“ nennt. Es handelt sich um eine quasibarocke Brücke mit Kandelabern, die den pont Neuf nachahmen. Und auf den Brüstungen dieses pont Neufs befinden sich jeweils 14 figurative Skulpturen, die Allegorien verschiedener Künstler darstellen sollen. Allein dieses Delirium selbstgefälligen Pomps sollte ausreichen, um ihretwegen nach Skopje zu kommen. Eine der 14 Figuren stellt zum Beispiel einen Dirigenten aus Bronze dar, der mit seinem Taktstock den Himmel bedroht. Ein anderer ist ein Schriftsteller (oder handelt es sich vielleicht um einen Architekten?), der eine Papierrolle bei sich trägt. Und es gibt natürlich auch einen in Bronze gehaltenen Maler mit einer Staffelei und einem Pinsel, mit dem er in Richtung des armen Flusses herumfuchtelt.
Und schließlich – neben all diesen Springbrunnen, Brücken, Schwertträgern und Löwen – als Höhepunkt dieser echt antike Triumphbogen. Er steht an der Mündung eines Boulevards zum Platz Mazedonia, als wollte er mit seiner Position im Raum eine kleine balkanische place de l’Étoile markieren. Der Form und den Ornamenten nach handelt es sich um eine sklavisch treue Kopie antiker Triumphbögen, dem Inhalt nach ist es eine Mischung aus sowjetischem Sozrealismus und dem zeremoniellen Patriotismus der europäischen Risorgimento-Bewegungen. Ich habe in meinem Leben so allerlei gesehen: sozrealistische Städte genauso wie die Projekte verrückter Diktatoren, aber nicht einmal die überbordendste Phantasie hätte mich je glauben machen können, daß ich eines Tages vor einem Triumphbogen stehen würde, der neben korinthischen Säulen in einem seiner Kassettenreliefs Titos Partisanen zeigt!
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