LI 142, Herbst 2023
Arbeit am Erbe
Über das Humboldt Forum als totale TatsacheElementardaten
Textauszug
Es ist still geworden um das Humboldt Forum. Abgesehen von gelegentlichen Ausstellungs- und Restitutionsnachrichten – zuletzt war es die Aufregung um die neue alte Heimstatt der „Benin-Bronzen“ – hört man kaum mehr etwas. Lange Zeit überbot sich das deutsche Feuilleton in seiner Diskussion des Forums mit immer neuen Metaphern and Allegorien: Von „Schlachtfeld“, „Friedhof“ und „Deponie“ war die Rede. „Eine Allegorie ist im Bereich der Ideen, was die Ruine im Bereich der Dinge“, so formulierte Walter Benjamin vor hundert Jahren in seiner Analyse: Ursprung des deutschen Trauerspiels.1 Und in der Tat: Gemessen an den Erwartungen und Vorstellungen von einst, erscheint das Humboldt Forum heute als konzeptuelle Ruine. Heimgesucht von heftigen post- und dekolonialen Stürmen sind nur noch Bruchstücke der ehemaligen Vision einer weltoffenen, sich der Tradition der europäischen Aufklärung verpflichteten Gesellschaft erhalten geblieben, eine Ruine eben, ausgeschrieben im Feuilleton und weitgehend verlassen von ihren ehemaligen Baumeistern. Oder gab es diese überhaupt? Schließlich gehört es zu den eigentümlichen Merkmalen des Humboldt Forums, daß – im Gegensatz zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses – ein auktorialer Gründungstext fehlt. Die Berufung auf die Aufklärung war ja keine wirkliche, das Humboldt Forum tragende Leitidee, sondern allenfalls Fassade, welche die eigentliche Leere des Projekts – auch das eine prominente Metapher – verbergen sollte. Ein Trauerspiel eben.
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Tatsächlich waren es die beiden Themen Migration und Kolonialgeschichte, deren Engführung das Humboldt Forum vor sich hertrieb. Treffend beinhaltete der 2017 erschienene Band No Humboldt 21 einen anläßlich der Eröffnung des Musée du quai Branly in Paris geschriebenen Text der ehemaligen malischen Kulturministerin Aminata Traoré. Der Titel: „So genießen unsere Kunstwerke Bürgerrechte dort, wo uns allen der Aufenthalt untersagt ist.“ 17 Es sollte sich zeigen, daß Objekte und Personen nicht voneinander zu trennen sind. Besitz ist eine relationale Kategorie. Der Wert eines Objekts ist diesem nicht inhärent, sondern bemißt sich an der Qualität der Beziehungen, die das Objekt ermöglicht bzw. konstituiert. Für das Quai Branly sowie später auch für das Humboldt Forum bedeutete dies im Zeitalter sozialer Medien die Dynamisierung und Verräumlichung von Objektbeziehungen und damit auch die Diasporisierung von Restitutionskampagnen. Die dabei vorgebrachten Argumente hatten neben rechtlichen und historisch formulierten Ansprüchen auch einen entschieden moralischen Charakter. Gefordert wurde und wird dergestalt die Anerkennung der Pflicht zur Einlösung der Schuld gegenüber den Verstorbenen. Es ging und geht um die Anerkennung der Präsenz der Toten. Letztere erscheinen nicht als museal weggesperrt und mausoliert, sondern als wirkmächtige, ins Leben eingreifende und an die Logik der Reziprozität erinnernde Akteure, denen Rechnung zu tragen ist. Daher die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Restitution. Es war die (allmähliche) Anerkennung dieser anderen Ontologie, die das Humboldt Forum als hoffnungsvoll gedachten Ort des Dialogs in einen schamhaften Ort des Schuldbekenntnisses verwandelte.
DER GESTUS
Nach der Pandemie war von den feierlichen Proklamationen von damals nichts mehr übriggeblieben. Das Virus hatte gleichsam die nationale Immunabwehr geschwächt und den Weg frei gemacht für eine Neubestimmung des Humboldt Forums. Schon 2019 hatte die Bundeskulturstiftung im Rahmen eines neu errichteten Programms mit dem bezeichnenden Titel „Erbe und Vermittlung“ Mittel für das Projekt Dekoloniale Erinnerungskultur. Spuren und Einschreibungen des Kolonialen in der Stadt vergeben. Erinnert wurde daran gleichsam von höchster Stelle bei der Eröffnung des Westflügels im September 2021 durch den Bundespräsidenten. Die Welt sei nicht mehr draußen, sondern in Berlin angekommen. Eigentlich könne man damit das Projekt Humboldt Forum beenden, aber nun sei es da und man müsse damit umgehen. Wie, konnte man in den Ausstellungen besichtigen. Koloniale Geschichte und Gewalt wird jetzt vor allem nebst bewußt gesetzten „Leerstellen“ in der Sektion zu Afrika thematisiert, deren fragmentarischer Charakter an die postkoloniale Ästhetik der Reparatur und Heilung erinnern soll.
So aktuell der Bezug, der kuratorische Gestus steht in einer langen Tradition des Denkens über das Fragment als Signatur und Leitmetapher der Moderne.19 Erinnern wir uns an Benjamins eingangs erwähnte Deutung der Allegorie als Ruine. Wie bekannt, war sein Interesse an der Ästhetik des Barocks letztlich auf die Ästhetik der Moderne ausgerichtet. In der Analyse der in den barocken Trauerspielen aufscheinenden Motive des Fragments und der Zerstückelung hoffte er, Hinweise auf die Analyse der Ästhetik der Moderne zu finden, was auch hieß, Hinweise auf Möglichkeiten der Überwindung ihrer destruktiven Dynamik. In der Tat ist die Kehrseite des gebannten Blicks auf Fragment und Zerstückelung die Sehnsucht nach organischer Ganzheit. Hier trifft sich der dekoloniale Affekt gegen das Forum mit dem nationalen Impuls seiner Befürworter. Beide verlangen nach Heilung der Wunden, welche die Moderne geschlagen hat. Mit dem Wiederaufbau des Schlosses ist der Erfolg der einen dabei allerdings zum Schmerz der anderen geworden.
Kann das Humboldt Forum diese Gegensätzlichkeit auflösen? Im Laufe von zwei Jahrzehnten hat das Humboldt Forum seine ursprüngliche Vision verloren und versucht nun herauszufinden, was es eigentlich ist oder sein soll. Es befindet sich im Niemandsland zwischen nationalem Erfahrungsraum und dekolonialem Erwartungshorizont, um Reinhart Koselleks prominente Formel dem Gegenstand entsprechend abzuwandeln.20 Ohne eigene überzeugende Agenda läßt es sich von äußeren Kräften treiben, holt ständig das nach, was gerade diskutiert und gefordert wird, und kommt daher immer zu spät. Das Humboldt Forum will kein Museum sein, sondern „Aushandlungsraum“. Nur was ausgehandelt wird, bleibt offen.
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