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Lettre International 146
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LI 145, Sommer 2024

Denn Winde säen sie ...

Eine Magical-Mystery-Zeitreise entlang der Küsten der Peloponnes

(…)

Im Sinne des Ganzen muß ich die Sprache kurz auf mich bringen, und was mich im Frühjahr 1981 in die griechische Mani führte, ist auch schnell erzählt: Eichingers Constantin hatte mir ein Kinodrehbuch um die Ohren gedroschen, eine große Liebe ging nebenbei flöten und die Kellerbars in Schwabing boten reichlich Medizin, von deren Widerhaken man sich nur ganz mühsam trennt. Dabei hatten die Achtziger erst begonnen. Tangled up in blue.
     Höchste Zeit also abzuhauen. München-Athen-Schnellstraße südwärts. Kurz vor Korinth baute sich rechter Hand der große Berg auf, ein Sinai der Vergeblichkeit, auf dem sich der frühere Rotlichtkönig Sisyphos für alle Ewigkeit mit seiner Felskugel abschuftet. Albert Camus schlug einmal vor, sich den gottverfluchten Sträfling als glücklichen Menschen vorzustellen. Auf und ab, hoch und runter, immer und wieder. 
     Ich habe oft versucht, mir Camus als glücklichen Menschen vorzustellen. An jenem Tag aber hatte ich andere Sorgen, als die Silhouette des Kraxlers zu imaginieren. Ich kam erst wieder zu mir in der vertrauten Bar mit Blick auf den Isthmus. Nach einem großen Glas Barbayannis-Ouzo leuchteten die Zweige der Ölblätter im Türkis, Rosa und Orange des späten Van Gogh. Ich steuerte über Tripolis und Sparta das Kap Matapan an. Es ist der südlichste Festlandspunkt Europas, ein wüster Platz aus Stein und Gischt, windumtost, sturmerprobt und laut griechischer Mythologie der unbeliebteste aller Hades-Eingänge. Wissend, daß davor kundige Fährmänner lauern, nahm ich mit einem winzigen Zimmer an einem einsamen Strand ganz in der Nähe vorlieb.
     Es vergingen die Tage, es vergingen die Nächte. Ich hörte Dylan und Neil Young, las Miller und Homer, überschüttete mich mit Zitrone und Olivenöl, futterte Yoghurt und Rotbarben, vermißte nichts und niemanden, und am Ende der Kur sah meine Seele im zersprungenen Spiegel wieder jemand, mit dem man Kirschen stiehlt und Pferde ißt. Die Zukunft versprach Heiterkeit, und so steuerte ich am frühen Morgen in Zauberflötenstimmung das Hafenstädtchen Gythion an. Vor dem Reisebüro Rozakis nutzte ich einen freien Parkplatz, betrat das gekühlte und abgedunkelte Reich, berührte respektvoll den Mahagoni-Schreibtisch und erkundigte mich mit aufgesetzter Dringlichkeit nach den Tarifen rüber nach Kreta. Um dem ehrwürdigen Patron nicht ewig beim Bedienen der surrenden Wählscheibe zuzusehen, trat ich vor die Türe und bemühte mich um ein einheimisches Erscheinungsbild. In diesem Moment huschten Susan Sarandon und John Cassavetes an mir vorbei, Arm in Arm, das frische Fest von Mann und Frau suggerierend, federleicht, wie frisch getaufte Engel in fließenden Hippie-Gewändern. Sekunden später bestiegen sie einen bauchigen Kutter, in dem schon viele andere Leute ungeduldig warteten. Ich ging ein paar Schritte vor und sah Kamera-Equipment, Scheinwerfer, Berge an Koffern und vollbehangene Garderobenständer. Mißmutig stieß der Kapitän die Barke vom Kai, zog sich seine Schiebermütze ins Gesicht, spuckte die Filterlose aus und verpaßte mir einen abschätzigen Blick. Einer der Hafennarren warf ihm die Seile zu, der Motor heulte auf, und ich fand mich in einer würzigen Dieselwolke wieder.
     Der alte Rozakis hatte wohl in Piräus jemand an die Strippe bekommen und rief provisionsfreudig meinen Namen aus. „Was hast du da gesehen?“ fragte ich mich leise. „Wer ging da eben an dir vorbei?“ Ich schaute dem immer kleiner werdenden Gefährt hinterher, das sich in sanften Sprüngen durch das Blau pflügte und dann hinter den lavaschwarzen Hügelausläufern verschwand. 

(…)

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Die kommende Ausgabe Lettre 146 erscheint Ende September 2024