LI 146, Herbst 2024
Hope you don’t remember
Die Ballade von Marianne und Leonard – Erinnerungen an die Winde von HydraElementardaten
Textauszug
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Außerhalb Griechenlands wurde Hydra zum ersten Mal so richtig durch Henry Millers Buch Der Koloß von Maroussi bekannt. Im Frühherbst des Jahres 1939 verbrachte dieser mit jenem Koloß namens Giorgos Katsimbalis und dem britischen Romancier Lawrence Durrell zusammen ein paar Tage auf der Insel – als Gast des griechischen Malers Nikos Ghika. Nirgendwo und nirgendwann, nicht einmal in der Pariser Villa Seurat war Miller glücklicher als auf „diesem kargen Stück Fels, welcher aus dem Meer ragt wie ein riesiger Laib versteinertes Brot“. Glaubt man der Gilde der New-Ager, bewirkt vor allem das quarzhaltige Gestein in Hydras gemäßigten Höchstlagen, daß man wie mittels einer Art magischer Antenne mit dem restlichen Universum zu kommunizieren vermag. Das muß Miller tief ins Herz getroffen haben. Er notierte auf dem Schiff von Athen Richtung USA: „Hydra ist ein ganz besonderer Stein, der von einem Freund Gottes als Pause in die Partitur der Schöpfung eingetragen wurde. Es ist eine jener göttlichen Pausen, die es dem Musiker auf Erden erlauben, eine Melodie in eine völlig neue Richtung zu tragen. An diesem Punkt kann man seinen Kompaß auf die Müllhalde werfen. Und als ich diesen Felsen berührte, hatte ich jeden Sinn für die irdische Richtung verloren.“ Ein paar Jahre später muß dieser spezielle Touch auch den kanadischen Barden berührt haben.
Kontemplativ war und ist Hydra, ein Wunderwerk, ein beseelendes Ensemble aus Kapitänsvillen, Windmühlen, kubistischem Orient, Meer, Licht, Reflexionen und einer dem Kitsch anhaftenden Ahnung, eines bebenden Tages die Kulisse abzuschütteln und einer neuen Inszenierung Platz zu machen – wie beim Herkules-Mythos vor langer, langer Zeit.
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Die meisten Menschen erinnern sich bei Leonard Cohen am ehesten an die zwei Lieder über Suzanne und Marianne. Umnebelt von der Beatles-Heiterkeit, dem Wutgetöse der Stones, dem psychedelischen Westcoast-Rock und dem kryptischen Poetenschnösel Dylan, hörte man immer wieder aus einem tiefen mykenischen Brunnen diese Grabesstimme zum Klimpern einfacher Akkorde. Auf magische Art begleiten uns seine Lieder und Gedichte über alle Kontinente hinweg, selbst wenn wir nicht akut von Liebesverlust und Depression heimgesucht sind. Cohen brachte die Poesie in den Pop, die Liebe in den Haß, den Haß in die Liebe, die Fragen in die Antworten, und die meisten seiner fein und würdevoll geschliffenen Sendungen sind voller Rätsel, Mahnung und Hingabe. Man kam und kommt an Leonard Cohen nicht vorbei, und die zeitlos-hypnotische Wirkung hielt an bis zu seinem letzten Konzert im Dezember 2013, mit der finalen Zugabe: Save the last dance for me.
Eine unsichtbare Hand
Leonard Cohen wird vor allem wegen der beiden Minne-Hymnen als der ewig Liebende gedeutet, als Prototyp der Hippie-Ära, als Mann des Friedens, der erotischen Freuden, der Verehrung der Frau, der materiellen Gleichgültigkeit und der spirituellen Hinwendung. Viele Jahre später erst erfuhr man, daß der zu diesem Zeitpunkt auf Hydra vermutete Minnesänger bei der Invasion der US-Armee in der kubanischen Schweinebucht am 17. und 18. April 1961 gleich zweimal innerhalb kürzester Zeit als kanadisch-amerikanischer Agent verhaftet wurde und sich in letzter Sekunde in einen Flieger nach Miami retten konnte. Er erklärte später: „Ich bin in meinem Leben tatsächlich in einige Revolutionen hineingestolpert. Da scheint eine unsichtbare Hand die Regie zu führen. Auch verspüre ich eine gewisse Faszination für Gewalt und für ein Spannungsfeld, in dem man tötet oder getötet wird.“ Als er am 20. April 1967 Griechenland für lange Zeit verließ, übernahm ein paar Stunden später die Junta die Regierungsgeschäfte. Ein paar Jahre später, 1973, beim Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs bänkelte er, wie einst Marlene Dietrich, als Schlagersänger in den IDF-Schützengräben, und auch beim Sturz von Haile Selassie hatte er im September 1974 in Addis Abeba eine Suite gebucht.
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