LI 81, Sommer 2008
Üble Tage in Kunar
Afghanistan - Ein Kommando der US-Streitkräfte kämpt gegen RebellenElementardaten
Genre: Reportage
Übersetzung: Aus dem Englischen von Daniel Bickermann
Textauszug
(...) Im Lauf der letzten zwei Jahre haben die Amerikaner ihre Truppenpräsenz in der Provinz Kunar stetig erhöht und immer weiter aufgefächert, bis hin zu den kleinen Außenposten mit nur einer Handvoll Soldaten, die sowohl in Afghanistan als auch im Irak zum Merkmal der neuen Doktrin zur Aufständischenbekämpfung geworden sind. Der Außenposten im Korengaltal, Spitzname KOP, wurde im April 2006 auf dem Gelände eines alten Sägewerks und Hotels errichtet. Die Soldaten des Einsatzkommandos der 173. Luftbrigade leben hier in staubigen Zelten und kleinen Holzhütten. Sie haben inzwischen warme Mahlzeiten sowie ein kleines Versorgungszelt mit Internetanschluß und ein paar Telefonen für den Kontakt nach Hause. Aber das Lager ist praktisch nur mit Stacheldraht und Wachposten gesichert. Beinahe bei jeder Landung wird unser Hubschrauber mit Beschuß durch einen Scharfschützen oder eine „Dushka“, eine russische Luftabwehrkanone, begrüßt.
Dan Kearney ist so etwas wie der Kriegsherr über das Korengaltal. Er sieht sich als typisches Soldatenkind aus Georgia, das seinen Soldatenvater angebetet hat und ihm in die Welt des Militärs gefolgt ist. (Sein Vater ist heute Lieutenant General in der Zentrale für Spezialoperationen.) Kearney bezeichnet sich selbst oft als dummen Klotz und spielt vor seinen Soldaten den harten Typen und das fiese Großmaul. Er war im Irak stationiert und erzählt mir, er sei dort emotional abgestorben zwischen all dem Töten und Sterben, erst die Geburt seines Sohnes vor einem Jahr habe ihn wieder aufgeweckt. Sein übelster Tag im Irak war der, an dem ein zusammengebastelter Sprengsatz seinen Sergeant und eine Reihe seiner Kumpel tötete und seinen guten Freund Rob Shaw schwer verwundete – direkt danach befahl ihm sein Colonel, Shaws Platz einzunehmen und die Kompanie anzuführen.
Aber so schlimm es im Irak auch war, sagt er, nichts ist so schlimm wie das Korengaltal. Im Irak konnten die Captains und Lieutenants sich in einer relativ sicheren und geschützten Operationsbasis entspannen und Geschichten und Ideen austauschen. Hier gibt es niemanden zum Reden, und innerhalb des Stacheldrahts ist man dem feindlichen Gewehrfeuer fast genauso ungeschützt ausgeliefert wie draußen. Im letzten Sommer haben die Aufständischen in einem benachbarten Tal eine der Basen gestürmt und 16 Soldaten verwundet.
Und im Gegensatz zu jedem anderen Teil Afghanistans, den ich bisher besucht habe, – selbst im Gegensatz zum Pechtal, das nur eine Autostunde entfernt liegt – gibt es im Korengaltal keine afghanische Polizei und keine Bezirksverwaltung, mit denen die Amerikaner zusammenarbeiten könnten. Die afghanische Regierung und die Afghanen weiter unten im Tal lassen lieber die Finger von den Korengalis. Kearney erklärt mir einmal in der KOP-Basis, daß das Korengaltal wie ein gefährliches Viertel in Los Angeles ist, „und wir sind die Polizei von L.A., durchsuchen Häuser, verhaften Typen, stellen Fragen über die Gangs, und die Bewohner sagen dann ganz langsam: ,Nee, wir wissen nichts, denn dieser Typ in der Gang, der ist der Freund meiner Schwester, und dieser andere Typ, der ist der Cousin meines Onkels.‘ Und inzwischen nerven wir sie seit so vielen Jahren, daß sie beschließen: ,Ich bin lieber auf der Seite der Aufständischen, das sind meine Brüder, die verpfeife ich nicht.‘“
Was genau ist also seine Aufgabe hier draußen? Das Tal unter Kontrolle zu bringen. Die Marines haben es schon versucht, und danach kam die 10. Bergdivision der Armee – aber die Aufgabe war so blutig, daß deren Soldaten in eine Art Wahnsinn verfallen sind. Kearneys Leute erzählen mir, wie gruselig das Verhalten ihrer Vorgänger im letzten Mai war: Kurz vor ihrer Ablösung saßen viele Männer alleine im Camp und führten Selbstgespräche. Gefreite verweigerten die Befehle ihrer Vorgesetzten, und Zugführer weigerten sich, das Lager zu verlassen, um den Neuankömmlingen die Gegend zu zeigen. Keiner wollte in den letzten Tagen seines Einsatzes noch erschossen werden.
Anfangs legte Kearney seine Männer an die kurze Leine. John Nicholson, ein Brigadekommandant der 10. Bergdivision, hatte den Afghanen versprochen, ihre Häuser nicht unter Beschuß zu nehmen. Als Kearney und sein Einsatzkommando der 173. Luftbrigade das Tal am 5. Juni offiziell übernahmen, erneuerten sie dieses Versprechen. „Wenn meine Männer mir nicht sagen konnten, aus welchem Haus geschossen wurde, dann entschied ich, daß wir nicht einfach das Dorf unter Beschuß nehmen können“, meint Kearney. „Die haßten mich dafür.“ Er vermutet, daß die Aufständischen den neuen Kommandanten auf die Probe stellten, indem sie absichtlich aus Wohnhäusern heraus feuerten. Am 10. Juli griffen die Korengalis die Soldaten aus einem Haus an, das sie häufiger benutzten – ein dreistöckiges Wohnhaus an einem fruchtbaren Abhang, dessen Balkone das gesamte Tal überblickten und das Hadschi Matin gehörte, einem Holzhändler, der zum Aufständischenführer wurde. Es war an diesem Ort schon einmal zu Kampfhandlungen gekommen.
Kearneys Entscheidung fiel, nachdem zwei Sergeants aus dem zweiten Zug, Kevin Rice und Tanner Stitcher, angeschossen worden waren und das Feuergefecht noch immer andauerte. Kearney konnte im Haus eine Frau und ein Kind erkennen. „Wir sahen, daß Leute im Haus Waffen herbeischafften“, erzählt mir Kearney. „Ich habe alles versucht. Ich ließ Mörsergranaten auf die Rückseite des Hauses feuern, damit das Kind vorne rausrennt. Ich habe die linke und rechte Seite des Hauses unter Beschuß nehmen lassen. Der Apache-Hubschrauber geriet unter Feuer und drehte ab. Ich forderte einen Bombenangriff an, aber keiner wollte die Kollateralschäden verantworten, wenn man eine Bombe auf ein Wohnhaus wirft. Schließlich haben wir zwei panzerbrechende Raketen abgefeuert, eine Javelin und eine TOW. Danach wurden wir zwei Monate lang nicht mehr aus diesem Haus heraus beschossen. Aber letztlich habe ich die Frau und das Kind getötet.“