LI 129, Sommer 2020
Sturmmaske
Elementardaten
Genre: Erzählung, Historische Betrachtung
Übersetzung: Aus dem Italienischen von Michael Kraus und Monika Lustig
Textauszug: 1.644 von 14.757 Zeichen
Textauszug
(…)
Der Mann ohne Gesicht, der Mann mit der Sturmmaske. Jener, der wortlos, lediglich mit einer Handbewegung entschied, wer von den im Nationalstadion eingepferchten Gefangenen zu Folter und Tod bestimmt war. Einer der Überlebenden erinnert sich: „Der finstere Kerl schritt, flankiert von Soldaten, wie bei einer Truppenschau, die Tausenden von Gefangenen ab. Ungeachtet seiner unscheinbaren Statur, seiner lächerlich wirkenden neuen Kleidung und seines unsicheren Gangs drängte sich der Mann mit der Sturmmaske allen wie eine gespenstische Erscheinung auf, und angstgetränktes Schweigen senkte sich über die Stufen ... Mit größter Unruhe behielten wir ihn im Auge ... Einige wandten den Kopf ab, um nicht erkannt zu werden, oder versuchten, sich zu den Austritten davonzustehlen. Auf jeden von uns konnte sich der Zeigefinger des Manns mit der Sturmmaske richten: In einer bis zum Zerreißen angespannten Atmosphäre fand die Tragödie eines Volks in Gefangenschaft angesichts von Folter und Verrat ihren Ausdruck. Diese Denunziation rief bei uns eine Art von Schwindelgefühl hervor. Handelte es sich um einen Verräter oder um einen, der uns immer schon Feind gewesen war? Was war seine Partei, aus welcher sozialen Schicht stammte er, wie hatte er es geschafft, sich mitten unter uns nicht zu verraten? Der Mann kam näher, hielt inne, setzte die Suche fort; manchmal machte er kehrt, um sich noch einmal zu vergewissern. Seine schwarz umrandeten Augen in den Löchern der Sturmmaske kreuzten Blicke voller Entsetzen, fragende Blicke, unerschrockene Blicke. Langsam schritt er einher, langsam wählte er die Opfer aus: Es genügte eine Handbewegung ...“
(…)