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Cover Lettre International 81, Georg Baselitz
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LI 81, Sommer 2008

Roadmap für Roboethik

Orientierung für den Bau und die Entwicklung intelligenter Maschinen

Roboethik ist ein Kunstwort für die beginnende Auseinandersetzung mit den philosophischen, gesellschaftlichen und ethischen Aspekten der Robotik. Diese Reflexion kann entscheidend zum Verständnis einer neuen Technikwissenschaft beitragen, die vielleicht einmal zu den wichtigsten des 3. Jahrtausends zählen wird.

Die Robotik befaßt sich mit intelligenten, autonom handelnden Maschinen. Sie gilt heute als -Teilgebiet des Maschinenbaus, und ihre Forschungsfelder überschneiden sich mit denen anderer Disziplinen. Sie ist gewissermaßen die Summe all dieses Wissens. Nicht wenige halten die Robotik aber für eine eigenständige, im Entstehen begriffene Wissenschaft. Schließlich, so die Begründung, stellen wir uns erstmals in der Weltgeschichte der Herausforderung, einen biologischen Organismus durch eine künstliche, intelligente und autonome Maschineneinheit zu ersetzen. Damit wird die Robotik zu einem gemeinsamen Forum der Natur- und Geisteswissenschaften. Allein das ist aus heutiger Sicht schon ein Experiment.

Wie entsteht eine neue Wissenschaft? Nach Thomas Kuhn „ist der forschende Wissenschaftler unter gewöhnlichen Umständen kein Erneuerer, sondern ein Rätsel- und Problemlöser. Er konzentriert sich auf Probleme, von denen er glaubt, daß man sie im Rahmen der bestehenden Wissenschaftstradition nicht nur formulieren, sondern auch lösen kann. (…) Im allgemeinen wollten oder mußten Wissenschaftler keine Philosophen sein. (…) Mir scheint jedoch, daß sie sich vor allem dann der philosophischen Analyse zuwenden, wenn sich die Rätsel ihres Feldes anders nicht mehr lösen lassen und wenn ihre Zunft anerkanntermaßen in eine Krise geraten ist.“

Beispiele dafür bieten die Chemie oder die Physik: Beide Wissenschaften haben heterogene und mitunter bizarre Ursprünge. Erst im Lauf der Zeit wurden sie systematisiert, weil einige ihrer Vertreter ihre Aufgabe darin erkannten, das Wissen nach Gesetzmäßigkeiten, Grundsätzen und Regeln zu ordnen. Sie bedienten sich mathematischer Methoden, um einem Geflecht überlieferter Erfahrungen und Einzelbeobachtungen eine einheitliche Struktur zu geben. Wissenschaften sind synkretistische Schöpfungen. Sie entstehen aus dem Zusammenwirken von Vernunft und Magie sowie aus dem Wechselspiel gesellschaftlicher Kräfte.

Auch die Robotik ist das Ergebnis einer Verschmelzung von Wissen aus den Bereichen Mecha-nik, Automatisierung, Elektronik, EDV, Kybernetik und künstlicher Intelligenz. Die Robotik gründet zudem auf Erkenntnissen der Physik und Mathematik, der Logik und Linguistik, der Neurowissenschaften und der Psychologie, der Biologie und Physiologie, Anthropologie und Philosophie, Kunst und industriellen Gestaltung. Je weiter sie sich entwickelt, um so mehr überschreitet sie ihre Grenzen und bereichert benachbarte Disziplinen.

Als Robotiker befinden wir uns gleichwohl erst an der Schwelle zur Entstehung einer eigenständigen Wissenschaft. Es ist daher schwierig, sich eine Vorstellung von der Zukunft dieser Disziplin zu machen. Vielleicht wird die Robotik andere Wissenschaften schlucken. Vielleicht wird sie, einem gigantischen roten Sterne vergleichbar, in separate Wissenschaften explodieren, die in den Grenzbereichen zu benachbarten Gebieten entstehen.

Trotz großer Investitionen, erfolgreicher Forschungsarbeit und erheblicher Präsenz in der Öffentlichkeit ist die Robotik noch eine ziemlich unbekannte Wissenschaft. Nur wenige ihrer Inhalte und Erkenntnisse haben sich herumgesprochen, und oft werden diese falsch wiedergegeben. In den Forschungsprogrammen vieler Institutionen kommt die Robotik als Stichwort gar nicht vor. Sie versteckt sich unter anderen Bezeichnungen und in verschiedenen Nischen der Informations- und Kommunikationstechnologie.

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.