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Cover Lettre International 83, Dieter Appelt
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LI 83, Winter 2008

Good-bye, George W.

Das Ende einer Regierung, die ihr Konto hoffnungslos überzogen hat

Sie waren vermutlich die katastrophalsten Traumtänzer, die rücksichtslosesten Spielernaturen und die schärfsten imperialen Abzocker und Geschäftemacher in der Geschichte unseres Landes. Ihre Leidenschaft war das Verkaufen. Und sie waren klassische amerikanische Verkäufer – sie verkauften uns ein überschwemmtes Stück Land in Florida, eine absurde Anschlagsphantasie über die Brooklyn Bridge und manch andere Hütchenspielertricks; dazu die bizarre Vorstellung von unbemannten Flugzeugen aus dem Irak, die chemische und biologische Waffen über den USA abwerfen würden; sie verkauften uns das Bild von Saddam Husseins Pilzwolken über amerikanischen Städten, eine komplette Neuordnung des Nahen Ostens nach unserem Geschmack – oder einfach ewige Weltherrschaft.

Wenn Historiker eines Tages zurückblicken, werden sie klar erkennen, daß sich in dieser Zeit unseres „Kriegszustands“ der Oberbefehlshaber und seine wichtigsten Berater keineswegs auf die variablen Schauplätze des globalen „Kriegs gegen den Terror“ konzentrierten, sondern vor allem auf jenen Schauplatz, der ihnen am wichtigsten war: die „Heimatfront“, an der sie endlose Zeit damit zubringen konnten, dem amerikanischen Volk ihre Waren zu verkaufen. Berüchtigt wurde der Ausspruch des Stabschefs im Weißen Haus, Andrew Card, der im September 2002 auf die Frage nach dem Zeitpunkt der politischen Kampagne zum Krieg gegen den Irak erklärte: „Vom Standpunkt des Marketings aus macht es keinen Sinn, neue Produkte im August anzukündigen.“

Wie recht er hatte.

Vom Weißen Haus, das „Siegesmeldungen“ allein für die innenpolitische Verbreitung ausgab, bis zum Verteidigungsministerium, wo ständig Schwärme von Generälen, Admirälen und anderen hohen Offizieren aufgefahren wurden, die nicht als Truppen-, sondern als Meinungsführer gefragt waren – überall lag die Konzentration auf dem Verkauf. Es ging immer um „neue Produkte“.

Man sollte dabei die hochfliegenden Phantastereien innerhalb Washingtons nicht vergessen. Wenn ein Verkäufer ein defektes Produkt loswerden will, hilft es immens, wenn er sich erst mal selbst dazu bringen kann, daran zu glauben. Und in dieser Disziplin war man Weltspitze.

Der Spruch von der Shock-and-Awe-Taktik, der beim ersten Angriff auf den Irak im März 2003 ausgegeben wurde, hörte sich angesichts der Geschehnisse irgendwann albern an und ist inzwischen aus der offiziellen Sprachregelung verschwunden (genauso wie die „Mission-erfüllt“-Behauptung) und dafür in die Annalen der Ironie eingegangen. Damals jedoch, als Bomben und Raketen Stadtteile von Bagdad in die Luft jagten – als grandiose Spezialeffekte in diesem anderen „Theater“ des Kriegs, dem Fernsehen –, hörte man diesen Begriff überall. Er ging Hand in Hand mit einer anderen kuriosen Politphrase: dem „Regimewechsel“.

Angesichts des angeblich einmaligen technologischen Entwicklungsstands der US-Armee und ihres Arsenals an „Präzisionswaffen“ bildeten sich die Bush-Krieger ein, daß tatsächlich eine neue Ära der Militärdiplomatie angebrochen sei. Ein feindliches „Regime“ könne jetzt beseitigt werden – im wahrsten Sinne des Wortes und mit chirurgischer Genauigkeit. Dank besagter Präzisionswaffen, die man aus weit entfernten Schiffen oder Flugzeugen abfeuern konnte, wollte man den Gegner in seinen Schlafzimmern, Konferenzräumen und Büros treffen – ohne dabei gleich das ganze Land zu beseitigen. Zack! Man mußte nur den Befehl geben, und schon würde ein Unrechtsregime „enthauptet“, wie man das nannte. Die Bevölkerung des Landes würde ein relativ kleines amerikanisches Truppenkontingent mit offenen Armen als Befreier begrüßen.

Das hörte sich alles gut an, fortschrittlich, verhältnismäßig einfach, ohne große Verluste durchführbar und so sauber, wie nur denkbar. Und was noch besser war: Nach einer solchen Machtdemonstration, nach diesem garantierten „Spaziergang“ – zum Beispiel im Irak –, wer würde es jemals wieder wagen, die amerikanische Macht anzuzweifeln? Nicht nur würde man einen verhaßten Diktator in den Mülleimer der Geschichte treten, auch andere Bösewichte auf der ganzen Welt würden sich angesichts dieser Bush-Variante von Der Zorn des Khan vor lauter Schrecken und Ehrfurcht ergeben müssen oder selbst beseitigt werden.

In Wirklichkeit (ach, „Wirklichkeit“ – welch gemeines Wort!) traf die Shock-and-Awe-Taktik im Irak nicht einen der Anführer des Saddam-Regimes, keinen einzigen aus dem Blatt mit 52 Spielkarten (natürlich auch das Pik As nicht, Saddam Hussein selbst, der erst so viele Monate später in seinem „Spinnenloch“ gefunden wurde). Statt dessen fielen irakische Zivilisten diesen präzisen Schockangriffen zum Opfer, die die irakische Gesellschaft auf den Weg der Zerstörung brachte – die Welt davon war nicht gerade eingeschüchtert.

Ironischerweise könnte die Phrase in umgekehrter Form auf die sieben Jahre der Bush-Regierung nach dem 11. September angewandt werden. In gewisser Weise war dies die „Schrecken-und-Ehrfurcht“-Administration: Zuerst standen sie ehrfürchtig von der vermeintlich unbesiegbaren Macht des eigenen Militärs, das den Planeten dominieren und umstrukturieren konnte; und dann waren sie ein ums andere Mal schockiert und wollten nicht wahrhaben, daß eben diese Truppen trotz aller Zerstörungskraft unfähig waren, die globale Dominanz auch herzustellen – oder auch nur mit den heruntergekommenen Aufständischen in zwei geschwächten Ländern fertigzuwerden, von denen eines, Afghanistan, zu den ärmsten und unterentwickeltsten Nationen der ganzen Welt zählt.

In historisch gesehen bemerkenswert kurzer Zeit verwandelten sich die hochfliegenden imperialen Träume der US-Regierung in globale Alpträume. Natürlich versprach George W. Bush den Amerikanern ein weltweites Äquivalent – und den Republikanern ein innenpolitisches Äquivalent – zu einem Aktienindex von 36000 Punkten. Heute wissen wir, wo der Aktienmarkt steht: Er hat diesen Wunschtraum um knapp 27000 Punkte verfehlt.

Es gab aber eine Zeit, da glaubte die Bush-Mannschaft wirklich daran, mit Hilfe der US-Streitkräfte – oder, wie Bush sie einst atemlos nannte: „die größte Kraft menschlicher Befreiung, die die Welt je erlebt hat“ – den ganzen Planeten ohne größere Hilfe von Verbündeten oder internationalen Organisationen welcher Art auch immer beherrschen zu können. Wer sonst sollte es tun? Wer wollte dieser Regierung, hinter der die geballte Kraft des US-Militärs steckte, die Hauptrolle in diesem Filmepos streitig machen? Wer sollte auch nur beim Casting erscheinen? Das verarmte Rußland? China, das noch mit dem Wiederaufbau seiner Streitkräfte beschäftigt war und von dem man annahm, es hätte andere Probleme? Ein Haufen Terroristen? Mal im Ernst!

So wie die Regierung das sah, war die Sache ziemlich klar. Tatsächlich gab sie dem Begriff der „Machtpolitik“ eine ganz neue Bedeutung. Schließlich hatte sie als letzte Supermacht die Zügel dieser kleinen Weltkugel fest in der Hand. Und war das nicht auch genau das, was alle anderen sagten? Oder zumindest alle, denen sie zuhörte, also Charles Krauthammer und die Kommentatoren der Washington Post?

Ich meine, was würden Sie machen, nachdem Sie sich plötzlich und wie durch ein Wunder (nach einer Wahl, die unglaublicherweise vor dem US-Verfassungsgericht ausgefochten wurde) an den Schalthebeln der einzigen Supermacht der Welt wiederfänden, dem einzigen Weltpolizisten, dem neuen Römischen Weltreich? Und um das Ganze noch schmackhafter zu machen, haben Sie ihre Hand zu eben jener Zeit an den Zügeln, als sich das „Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts“ ereignet; als Amerika geschockt und beeindruckt und verängstigt genug war, um einen wahllosen Rundumschlag für eine plausible Strategie zu halten.

Das wäre wohl jedem zu Kopf gestiegen im imperialistischen Washington jener Tage; aber der Bush-Regierung ist es in bemerkenswerter Weise zu Kopf gestiegen. Schließlich hatte sie einen Plan – den sie 2002 die „Bush-Doktrin“ taufte – für die Weltherrschaft, der vom Konzept her so unamerikanisch war, daß man ihn in meiner Kindheit nur von den übelsten, verrückt kichernden, imperialistischen Japan-, Nazi- oder Sowjet-Filmbösewichten gehört hätte. Und doch kam den Bushisten genau dieser Plan ins Gedächtnis und über die Lippen – und sie waren auch noch stolz drauf.

(...)

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Die kommende Ausgabe Lettre 147 erscheint Anfang Dezember 2024.