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Lettre International 146 / Tina Merandon
Preis: 15,00 € inkl. MwSt. 7%
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LI 146, Herbst 2024

Hingabe

Vom Theaterzuhause und von wiedergefundenen Träumen

(...)

Frank M. Raddatz: Ohne die Bereitschaft, sich zu verirren, kann man keine Landkarten erstellen. Als Herr Keuner, eine Brechtfigur, gefragt wird, was ihn beschäftigt, antwortet er: "Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor!".

Ilse Ritter: Besser kann man es nicht sagen. Wundersamerweise gelingen bei diesen ganzen Versuchen auch immer Findungen. Jedenfalls solange es spielerisch bleibt. Wer sich öffnet und mit offenem Herzen oder einem offenen Geist an eine Sache herangeht, wird zum Teil eines Prozesses, der den Blick auf die Inhalte öffnet oder verwandelt. Dieses Ethos des offenen Herzens als Grundlage der Theaterkunst beinhaltet ihre Verpflichtung für die gesamte Gesellschaft. Das war auch eine der Lehren unseres Kinderheims. Ich wurde nie bevorzugt behandelt, weil ich die Tochter des Leiters war. Wichtig war, daß die Gemeinschaft funktioniert. Ihr Mit- oder Füreinander. Wir veranstalteten Spiele, wo jeder den Namen eines Kindes zog, dem er ein Geschenk machen mußte. So waren wir damit beschäftigt, uns für einen anderen etwas Schönes auszudenken, überraschten uns gegenseitig immer wieder und bekamen ständig Geschenke. Dabei lernten wir, daß Geben und Nehmen zusammengehören und daß das Gemeinschaftliche auf dieser Balance beruht. 
     Wenn ich zusammen mit den Schauspielern des Inklusionstheaters RambaZamba auftrete, mache ich das doch nicht, weil ich dort eine Riesengage bekomme, sondern weil ich weiß, daß auch die Schwächsten zu unserer Gesellschaft gehören. Also weil ich eine Haltung zur Welt habe. Das hat für mich mit diesem Ethos der Schauspielkunst zu tun: mit offenem Herzen und offenem Geist an die Sachen heranzugehen. So wenig das Theater ein Tanz ist, um das Ego aufzublähen, bin ich auch nicht nur meinem Wohlergehen verpflichtet. Gerade das Theater, das eine öffentliche Kunst ist, muß sich immer bewußt sein, im Kontakt mit der Gemeinschaft zu stehen, die vom Publikum verkörpert wird.

(…)

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Die kommende Ausgabe Lettre 148 erscheint Mitte März 2025.